Wenn Politiker richtig reagieren, können sie von der Krise profitieren. Gerhard Schröder hat es vorgemacht, Barack Obama versucht es gerade.

Hamburg. Es war ein Bild mit vernichtender Symbolkraft: Im August 2005 saß US-Präsident George W. Bush in seinem Hubschrauber "Marine One" und starrte mit versteinertem Gesicht durchs Plexiglasfenster auf das von Hurrikan "Katrina" verwüstete New Orleans. Auf diesem Foto, das um die Welt ging, wirkte Bush genau so hilflos und überfordert, wie er tatsächlich war. Der Präsident, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch den entschlossenen Commander-in-Chief gegeben hatte, handelte im Angesicht der Naturkatastrophe zu spät, zu zögerlich und verlor schlagartig das Vertrauen seines Landes. Seine Zustimmungswerte sanken auf nur noch 38 Prozent ab. "Katrina zeigte, dass er inkompetent ist", sagte der frühere Gouverneur von Vermont und Parteichef der Demokraten, Howard Dean. Bush hatte dem Chef der von ihm kaputt gesparten und konfus agierenden Katastrophenbehörde Fema, Michael D. Brown, öffentlich attestiert, einen "tollen Job" gemacht zu haben.

Dieses abschreckende Beispiel hat der derzeitige Amtsinhaber Barack Obama wie eine Warnbake deutlich vor Augen. Die Sturm-Katastrophe namens "Sandy" wehte an ihm vorüber wie der sprichwörtliche Mantel der Geschichte. Packt er entschlossen zu und lässt nicht los, beeinflusst er das weitere Schicksal Amerikas und der Welt. Scheitert er hier, so könnte er auch bei der Wahl am Dienstag scheitern.

Nach letzten Umfragen wird es ein sehr knappes Rennen gegen den Republikaner Mitt Romney. Der ist gegenüber Obama klar im Nachteil: Der Präsident kann sich als Krisenmanager profilieren; Romney bleibt zunächst kaum mehr als die Rolle des Statisten. Da nützt es wenig, wenn er sich in Ohio bei einem "Sturmhilfe-Event" mit ein paar Rollen Küchenpapier fotografieren lässt. Oder den Bürgern hilflos vorschlägt, Romney-Werbeschilder aus den Vorgärten zu entfernen, damit sie nicht im Sturm umherfliegen und jemanden verletzen. Romney hatte im Wahlkampf angeregt, die Befugnisse der nun geforderten nationalen Behörde Fema zugunsten der Einzelstaaten drastisch einzuschränken.

Andererseits könnte sich "Sandy" auch zuungunsten von Obama auswirken - falls nämlich viele demokratische Wähler aufgrund von Verwüstungen und Stromausfällen lieber zu Hause bleiben und die offenbar energischer motivierten Republikaner an den Urnen die Oberhand gewinnen.

Dass Naturkatastrophen politische Karrieren zerstören oder befördern können, ist ein weltweit bekanntes Phänomen. Man denke nur an das Seebeben mit folgendem Tsunami im vergangenen März in Japan. Die durch die Riesenwelle ausgelöste Reaktorkatastrophe von Fukushima veränderte die Einstellung eines ganzen Landes zur Atomenergie und ließ spontan eine grüne Partei aufblühen. Die Regierung verlor das Vertrauen des Volkes, Premierminister Naoto Kan scheiterte spektakulär am Krisenmanagement und trat im August 2011 entnervt zurück. Zugleich lieferte diese Katastrophe einen Aufwind auch für die deutschen Grünen, die schon von der Mega-Havarie im sowjetischen Reaktor Tschernobyl 1986 profitiert hatten

Und natürlich ist in Deutschland die Flut von 1962 unvergessen, bei der ein Hamburger Innensenator namens Helmut Schmidt, seine Amtsbefugnisse äußerst großzügig auslegend, die entscheidenden Kompetenzen bei sich bündelte und so wirksam gegen die Not der Menschen handeln konnte. Dieses entschlossene Handeln in der Krise trug "Macher" Schmidt einen Ruf wie Donnerhall ein und legte den Grundstein für eine Karriere, die ihn schließlich bis ins Kanzleramt führte. In jüngerer Zeit ist die "Jahrhundertflut" an der Elbe und ihren Nebenflüssen im August 2002 in Erinnerung, die nach Ansicht vieler politischer Beobachter Bundeskanzler Gerhard Schröder wider Erwarten die Wiederwahl sicherte. Es blieb natürlich nicht aus, dass Kommentatoren die Formulierung verwendeten, Schröder sei von der Flutwelle ins Kanzleramt getragen worden. Mit sicherem Instinkt hatte der SPD-Politiker die Chance erkannt. Er stand in Gummistiefeln auf durchweichten Deichen, sprach Bedrohten und Geschädigten väterlich Mut zu und versprach schnelle und unbürokratische Hilfe.

Vor der Flut hatten Union und FDP klar in Führung gelegen, doch bei der Bundestagswahl am 22. September reichte es noch einmal für Rot-Grün. Der Machtmensch Schröder hatte sich ebenfalls als "Macher" profiliert und wurde als "Flut-Kanzler" etikettiert. Die Zeitung "Die Welt" schrieb damals süffisant, Schröder habe den Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber "im Hochwasser versenkt". Wenige Jahre zuvor hatte bereits eine andere "Jahrhundertflut" eine politische Karriere befördert - die an der Oder 1997. Der zuvor relativ unbekannte brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck war permanent im Fernsehen zu sehen, die Katastrophenregion inspizierend, und wurde rasch zu einer national bekannten Größe. Seine entschiedene Haltung trug ihm den Beinamen "Der Deichgraf" ein - in Anlehnung an Theodor Storms legendären "Schimmelreiter" Hauke Haien.

Platzeck, das muss man dazu sagen, stellte sich nicht einfach in Positur. Er hatte zuvor viel für die Oder-Region getan - wie die Schaffung des 1995 eingeweihten deutsch-polnischen Nationalparks Unteres Odertal. Die Katastrophe an der Oder war politisch auch deswegen so wirkmächtig, weil sie Westen und Osten Deutschlands in der gemeinsamen Hilfe zusammenschweißte. Platzeck wurde ein Jahr später Oberbürgermeister von Potsdam und 2002 Ministerpräsident von Brandenburg.

Beim Elbhochwasser agierte er wiederum als Krisenmanager; auch beim Oderhochwasser 2010 sah man ihn vor Ort, im Bug von Booten sitzend.

Auch eine militärische Karriere wurde durch das Oderhochwasser 1997 befördert. Der joviale Bundeswehrgeneral Hans-Peter von Kirchbach leitete den Einsatz von rund 30 000 Soldaten gegen das Wasser so eindrucksvoll, dass er in Öffentlichkeit und Medien zum "Helden von der Oder" avancierte. Und ein Jahr später auf Anregung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl zum Generalinspekteur der Bundeswehr berufen wurde. Der populäre General a. D. blieb auch nach seinem Ausscheiden aus der Armee beim Organisieren von Hilfe: Er ist seit 2002 Präsident der deutschen Johanniter-Unfall-Hilfe.