Wegen Pakistans Blockade der Ostroute steht den Isaf-Truppen nach Ansicht de Maizières ein teurer und schwieriger Abzug aus Afghanistan bevor.

Kundus/Berlin. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) stellt sich auf Probleme beim Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ein. „Die Rückverlegung ... ist ein komplizierter Prozess“, sagte de Maizière am Dienstag bei einem Überraschungsbesuch im Bundeswehr-Feldlager Kundus. Er sei nicht sehr zuversichtlich, dass Pakistan die wichtige Route über die Ostgrenze schnell freigeben werde.

+++De Maizière zu Blitzbesuch in Afghanistan eingetroffen+++

+++Mein Afghanistan - aus Sicht einer Entwicklungshelferin+++

Das bedeutet, dass die internationale Schutztruppe Isaf stärker auf die Routen durch das Zuständigkeitsgebiet der Bundeswehr im Norden und auf teure Lufttransporte angewiesen ist. „Von daher wird sehr viel durch die Luft oder durch den Norden erfolgen. Das ist logistisch kompliziert, aber daran arbeiten wir“, sagte er. Es gehe darum, möglichst viele Varianten für den Abzugsweg zu haben, um flexibel reagieren zu können. Vor allem die USA als größter Truppensteller hatten darauf gesetzt, ihr Material über Pakistan und dann weiter über See in die Heimat zurückzubringen. Pakistan blockiert jedoch nach einem Streit mit den USA seit Monaten die Grenze für Militärtransporte, was auch den Nachschub für die US-Truppen erschwert, der bis dahin vor allem über diese Route ablief.

Sollten die internationalen Truppen verstärkt über die Nordroute und damit über das Verantwortungsgebiet der Bundeswehr abziehen, dürfte dies Konsequenzen für den deutschen Abzug haben: Die Bundeswehr betreibt in Masar-i-Scharif das größte Feldlager und den größten Flughafen im Norden. Über dieses Drehkreuz müsste dann weit mehr Material als bisher geplant umgeschlagen werden, und die Bundeswehr müsste bis zum Schluss die Logistik dafür vorhalten. Zudem muss jeder Landtransport aus dem Süden den gefährlichen Baghlan-Korridor südlich von Kundus passieren, den bisher ebenfalls die Bundeswehr sichert.

Ihr erstes größeres Lager in Afghanistan will die Bundeswehr bis zum Herbst räumen. Der Stützpunkt im abgelegenen Feisabad solle bis dahin aufgelöst sein, kündigte de Maiziere in Kundus an. Die Kosten des Abzugs wollte der Minister nicht beziffern. „Eine Kostenschätzung können wir noch nicht abschließend geben“, sagte er. Eine Summe könne erst genannt werden, wenn klar sei, wie viele Soldaten und wie viel Material auch über 2014 hinaus am Hindukusch bleiben werde. „Im Herbst kann ich darüber Auskunft geben, heute noch nicht“, erklärte de Maiziere.

Bei der Sicherheitslage in Afghanistan sieht de Maizière erhebliche Verbesserungen. Nach dem schlimmen Jahr 2010 mit vielen getöteten deutschen Soldaten sei die Zahl der Angriffe und Anschläge im vergangenen Jahr um 39 Prozent zurückgegangen, sagte der Minister. In den ersten Monaten dieses Jahres habe es einen weiteren Rückgang um 31 Prozent gegeben. „Wir sind ungefähr auf dem Niveau von 2009. Das ist immer noch keine stabile Sicherheitslage, da gibt es nichts drumrumzureden, aber es ist ein großer Fortschritt“, sagte de Maizière.

Die Bundeswehr bereitet sich seit Anfang des Jahres auf den Rückzug vom Hindukusch vor. Die Truppenstärke wurde bereits von einst bis zu 5350 auf rund 4800 Soldaten reduziert. Der Abbau des Feldlagers in Feisabad – eines von drei großen Bundeswehr-Camps – hat bereits begonnen. Bis Ende 2014 muss die Bundeswehr bis zu 1700 Fahrzeuge und 6000 Container aus Afghanistan abtransportieren.

De Maizière besuchte Afghanistan zum siebten Mal seit seinem Amtsantritt vor 16 Monaten. Die Reise, an der auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) teilnahm, fand vor einer wichtigen Weichenstellung für die Zukunft Afghanistans nach dem Ende des internationalen Kampfeinsatzes in zweieinhalb Jahren statt. Am kommenden Wochenende wird es bei einer großen Konferenz in Tokio um die zivile Hilfe für das gebeutelte Land gehen. Deutschland will zunächst weiterhin mehr als 400 Millionen Euro jährlich für Wiederaufbau und Entwicklung bereitstellen.

Afghanistan warf unterdessen der pakistanischen Armee erstmals direkt vor, sein Territorium mit Raketen zu beschießen. Es handle sich um Angriffe auf die Provinz Kunar im weitgehend unkontrollierten Grenzgebiet der beiden Länder, wo bereits Hunderte Raketen niedergegangen und seit März vier Zivilisten getötet worden seien. „Uns liegen jetzt genügend Beweise vor, die belegen, dass die bei diesen Angriffen verwendeten Raketen der pakistanischen Armee gehören“, sagte ein Sprecher des afghanischen Inlandsgeheimdienstes. Die Regierung in Kabul kündigte an, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten, falls diplomatische Gespräche keine Fortschritte bringen sollten.

Pakistan hatte Afghanistan und den dort stationierten Nato-Truppen vor einer Woche vorgeworfen, nichts gegen Taliban in Kunar zu unternehmen, die dort Unterschlupf gefunden hätten. Die radikal-muslimische Gruppe verübt in beiden Staaten immer wieder Anschläge. Bislang hatte Afghanistan lediglich sogenannten Elementen in der pakistanischen Regierung und Armee vorgeworfen, Extremisten zu unterstützen. Pakistan hatte dies zurückgewiesen.

Mit Material von dpa/rtr