Das ehrgeizigste Projekt des US-Präsidenten ist vor dem amerikanischen Verfassungsgericht nicht gescheitert - zum Leid der Republikaner.

Washington. Das ehrgeizigste Reformwerk Barack Obamas, das für 30 Millionen Amerikaner zusätzlich eine Krankenversicherung garantieren will, ist vom US-Verfassungsgericht sensationell bestätigt worden. Dies ist ein unerwartet deutlicher, historischer Sieg für Präsident Obama. Das Gericht befand, dass der Patient Protection and Affordable Care Act (ACA), im Volksmund "Obamacare", einer Steuer gleichkommt. Der Kongress habe das Recht, Steuern zu verhängen. Das Reformpaket hatte Ende März 2010 denkbar knapp den Kongress passiert. Das Urteil, bei dem sich der konservative Gerichtspräsident Roberts den liberalen Richtern anschloss, wird auch als Bestätigung für das zuletzt viel gescholtene Oberste Gericht verstanden.

Mitt Romney, der republikanische Herausforderer des Präsidenten bei den Wahlen am 6. November, hatte Barack Obama unabhängig von der Entscheidung "moralisches Versagen" vorgeworfen. Er habe mitten in der US-Wirtschaftskrise anderthalb Jahre auf eine ruinöse Gesundheitsreform verschwendet, "die Bürokratie zwischen uns und unseren Ärzten aufbauen wollte". Romney hatte in seiner Zeit als Gouverneur von Massachusetts eine Pflichtkrankenversicherung eingeführt, die zum Vorbild für die Struktur von "Obamacare" wurde. Im Wahlkampf will er davon nichts mehr wissen. Sein Argument lautet: Was für einen Staat gut war, könne für die Union verheerend sein. Er werde als Präsident das Gesetz abschaffen. "Die heutige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs legt den Einsatz für die Wahl im November fest", sagte der Vorsitzende des Republican National Committee, des Organisationsgremiums der republikanischen Partei, Reince Priebus. "Jetzt kann man das Land vor Obamacares Etat sprengender Übernahme des Gesundheitswesens durch die Regierung nur noch durch die Wahl eines neuen Präsidenten retten."

+++ Oberstes US-Gericht bestätigt Obamas Gesundheitsreform +++

In den jüngsten Umfragen zu "Obamacare" überwiegt deutlich Ablehnung. Nach einer Umfrage des TV-Senders ABC unterstützen derzeit lediglich 36 Prozent der Amerikaner die Reform. 52 Prozent der Befragten seien dagegen. Doch kommt es auf die Fragestellung an. Teile der Reform waren und sind im Volk beliebt: zum Beispiel die Verlängerung des Zeitraums, Kinder bei Eltern bis zum Alter von 26 Jahren mitversichern zu können. Auch das Verbot für Kassen, Menschen wegen "existierender Krankheiten" abzuweisen, wird wertgeschätzt. Äußerst unbeliebt beim Volk aber ist die für 2014 geplante Pflicht, sich zu versichern oder eine bescheidene Geldbuße zu zahlen - was nicht zuletzt auf Halbwissen zurückzuführen ist. Chefrichter John Roberts, der für die Reform stimmte, meinte, jeder Bürger habe die "rechtskonforme Wahl", keine Krankenversicherung abzuschließen. Dann müsse er aber bereit sein, dafür eine Steuer für seine "Wahl" zu zahlen.

Republikaner bekämpften die Initiative vom ersten Tag an mit dem Vorwurf, der Markt allein solle Versicherungen regeln. Zudem dürfte laut Verfassung niemand gesetzlich zum Kauf einer Ware gezwungen werden. Das Gericht konzentrierte sich indessen auf die Steuerhoheit des Kongresses. Das Gegenargument, dass Gesundheit keine Ware wie jede andere sei und niemand lebe könne, ohne medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen, wird als irrelevant zurückgewiesen. Auch die von Demokraten aufgemachte Rechnung, dass Nichtversicherte, die in ambulante Notaufnahmen der Krankenhäuser strömen, durch Steuergelder de facto versichert werden und zu weit höheren Kosten, verfängt nicht.

+++ Romney will nach Sieg Gesundheitsreform kippen +++

In Washington war es von Beginn an das Ziel der Republikaner, die Prestigereform Barack Obamas zu zerstören, seine Präsidentschaft zu schwächen und seine Wiederwahl zu verhindern. Es ging nicht darum, das Schicksal von rund 30 Millionen Amerikanern ohne Krankenversicherung zu erleichtern.

Die schwierige Wirtschaftslage, die mäßig erfolgreichen Kriege im Irak und in Afghanisten sowie der Streit um die Gesundheitsreform hatten Obama zuletzt in Bedrängnis gebracht. Knapp viereinhalb Monate vor der Präsidentenwahl liegt er nun einer Umfrage zufolge in drei als wahlentscheidend eingestuften Bundesstaaten in Führung. Der Vorsprung des Präsidenten auf seinen republikanischen Herausforderer Romney beträgt in Florida, Pennsylvania und Ohio vier bis neun Prozentpunkte, wie aus einer Untersuchung der Quinnipiac-Universität hervorgeht. Einen großen Vorsprung habe Obama bei Frauen, Jungwählern und Schwarzen. Seit 1960 sei niemand Präsident geworden, der nicht mindestens in zwei dieser drei Schlüsselstaaten gewonnen habe, hieß es in der Umfrage. Obama, der sich bei der Wahl am 6. November um eine zweite Amtszeit bemüht, hatte 2008 alle drei Staaten geholt.