Weißrusslands Staatschef lässt Proteste gegen seine Wiederwahl niederschlagen. Mehr als 600 Oppositionelle werden verhaftet. KGB soll Aktivistinnen misshandelt haben.

Moskau. Nach Protesten gegen den autoritären weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko sind drei ukrainische Aktivistinnen nach eigenen Angaben vom Minsker Geheimdienst KGB misshandelt worden. Die Frauen seien von KGB-Mitarbeitern bei einer nicht erlaubten Kundgebung in Minsk festgenommen und in einen rund 300 Kilometer entfernten Wald verschleppt worden, teilte die Organisation Femen am Mittwoch in Kiew mit.

Dort seien sie nackt ausgezogen, gefilmt und gedemütigt worden. KGB-Chef Wadim Saizew wies die Vorwürfe als „Provokation“ zurück. „Sie können erzählen, was sie wollen – aber unsere Männer haben sie nicht angefasst“, sagte er in Minsk.

Die drei Frauen seien ausgewiesen worden, meldete die unabhängige weißrussische Agentur Belapan. Ein ukrainischer Diplomat habe die Aktivistinnen mit dem Auto zurück nach Kiew gefahren. Die Frauen hatten am Vortag vor der KGB-Zentrale in Minsk barbusig gegen die umstrittene Wiederwahl Lukaschenkos, der oft als „letzter Diktator Europas“ bezeichnet wird, vor genau einem Jahr demonstriert. In Weißrussland hat der Geheimdienst seinen Namen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beibehalten. Die sogenannten Nacktproteste gehören zur Strategie von Femen.

Lukaschenko setzt auf Gewalt

In Minsk zeugte gestern nichts mehr von den kriegsähnlichen Zuständen der Nacht zuvor. Die weißrussische Führung hatte die größte Protestaktion der vergangenen Jahre zerschlagen. Hunderte Menschen wurden festgenommen und verprügelt.

Zunächst entwickelte sich die Situation erwartungsgemäß. Alexander Lukaschenko erhielt 80 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl. Die Opposition hatte angekündigt, dass sie den Ergebnissen nicht trauen würde, weil sie mit Wahlfälschungen rechne. Und wie ebenfalls angekündigt, versammelte sie sich auf dem Oktoberplatz. Von dort setzte sich die Menge in Richtung Unabhängigkeitsplatz in Bewegung - Standort von Parlament, Regierung und Wahlkommission.

Zunächst kamen auf dem Platz etwa 10 000 Menschen zusammen, bestätigt Jekaterina Tkatschenko, Korrespondentin des Fernsehsenders Belsat. Die Sprecher riefen zu einer friedlichen Kundgebung auf. Doch plötzlich begann der Sturm aufs Parlament. Das war eine Provokation, sagte Tkatschenko, es gab keinen Aufruf zum Sturm. Spezialeinheiten marschierten auf und begannen, Menschen mit Knüppeln zu verprügeln.

Als die Oppositionellen ins Parlament stürmten, waren die Spezialeinheiten plötzlich überall. Die Lichter gingen aus. Panik. "Alle, die auf die Straße kamen, waren blutüberströmt", sagt Tkatschenko. Ihrer Einschätzung nach wurden etwa 300 Personen auf dem Platz festgenommen.

Insgesamt wurden etwa 600 Menschen festgenommen. Die Büros der Oppositionskandidaten und alle, die mit ihnen zu tun hatten, wurden durchsucht. Das Redaktionsbüro der oppositionellen Presse und jenes der Menschenrechtsorganisationen wurden auseinandergenommen. Sieben von neun Präsidentschaftskandidaten der Opposition wurden in Haft genommen.

Der Kandidat Wladimir Nekljajew wurde bewusstlos geschlagen, noch bevor der Sturm auf das Parlament begann. Er kam ins Krankenhaus. Andrej Sannikow und seine Frau Irina Chali, Korrespondentin der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta", wurden in ihrem Auto überwältigt. In der Nacht wurden die Kandidaten Anatoli Lebedko, Dmitri Uss und Alexej Michaljewitsch verhaftet. Die Polizei holte sie aus ihren Wohnungen. Die weißrussischen Gesetze sehen bis zu 15 Jahre Gefängnis für diese Art des Protests vor.

Die OSZE erkennt das Wahlergebnis in Weißrussland nicht an, erklärt ihr Sprecher Thomas Lloyd. Die OSZE fordert, die Gründe der Verhaftungen offenzulegen. Nachdem Moskau Lukaschenko entgegengekommen war, haben auch die Wahlbeobachter aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS) die Ergebnisse anerkannt. Russlands Präsident Dmitri Medwedew erklärte, dass die Wahl in Weißrussland eine innere Angelegenheit sei. Ende September hatte er noch gesagt, dass er sich von diesen Wahlen nichts Positives erhofft. Die Opposition in Minsk wurde brutal zerschlagen und unterdrückt.

Die Bundesregierung reagierte besorgt. Die Ereignisse seien ein "herber Rückschlag" für die Beziehungen zu Weißrussland und ließen an eine "weitere Annäherung nicht denken", sagte eine Sprecherin. Die EU und die USA kritisierten die Polizeigewalt scharf. EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton verurteilte besonders die Festnahmen von Oppositionspolitikern. Sie rief die weißrussischen Behörden auf, die Festgenommenen "umgehend freizulassen". In einer Erklärung der US-Botschaft in Minsk hieß es, die USA seien "besorgt über den exzessiven Einsatz von Gewalt seitens der Behörden".

Ein Kameramann des Senders Belsat wurde von Milizionären auf der Straße misshandelt, drei weitere Mitarbeiter kamen in Haft, wie Chefredakteurin Agnieszka Romaszewska-Guzy der "Welt" sagte. Der von Polen und Schweden finanzierte Sender Belsat sendet von Polen aus über Satellit täglich sechs Stunden für Weißrussland. Die Journalistin beklagte, die mit Sendungen für die Region befasste EU-Delegation in Kiew habe Anfang des Jahres kritisiert, der Sender zeige "zu oft weißrussische Oppositionelle", und dann die Zusammenarbeit eingestellt.

Beobachter in Weißrussland erkennen im Verhalten Präsident Lukaschenkos einen Zickzackkurs zwischen Russland und der EU, der gewisse Erfolge habe. Noch vor drei Monaten hatte Moskau, etwa durch eine Enthüllungssendung über Lukaschenko im russischen Fernsehen, dem Diktator zu schaden versucht. "Das ist gescheitert", sagt der weißrussische Politologe Valerij Bulgakow. "Stattdessen wuchs das Risiko, dass Moskau jeglichen Einfluss verliert, denn Lukaschenko driftete klar nach Westen. Symbol dafür war der gemeinsame Besuch der Außenminister Polens und Deutschlands im November. Deshalb hat Moskau einen Schritt zurück getan." Ergebnis des neuen Kurses war eine harmonische Begegnung Lukaschenkos mit Medwedew. Es sei deutlich, dass die autoritäre Stabilisierung und ein bescheidener Wohlstand bei vielen Weißrussen gut ankämen, sagt der Politologe: "Aus Untersuchungen geht hervor, dass die Jugendlichen bis 25 Jahre, die unter Lukaschenko aufgewachsen sind, dem Regime gegenüber loyal sind." Die Bilder von Straßenschlachten sind so Wasser auf die Mühlen Lukaschenkos. (mit Material von dpa)