Jugendliche Krawallmacher wüteten in der Nacht in London, Liverpool, Birmingham und Bristol. Britische Innenministerin verteidigt zurückhaltendes Agieren der Polizei. Premier Cameron beruft Nationalen Sicherheitsrat ein.

London. Die schweren Ausschreitungen überwiegend junger Randalierer in London dauern auch nach drei Tagen an und weiten sich nun sogar auf andere Städte Großbritanniens aus. In der Nacht hatten Jugendgangs und andere Gewalttäter in der britischen Hauptstadt erneut Häuser und Autos angezündet. Die Polizei agierte verhältnismäßig zurückhaltend auf die Gewaltausbrüche und bekam die Lage – den Fernsehbildern nach zu urteilen – kaum in den Griff.

Die britische Innenministerin Theresa May verteidigte am Dienstag das Vorgehen der Polizei bei den Krawallen in London. "In Großbritannien halten wir niemanden mit Wasserwerfern zurück“, sagte May in einem Fernsehinterview. Stattdessen setze sie auf die Mitarbeit der Menschen vor Ort – so funktioniere britische Polizeiarbeit. Sie rief die Eltern der randalierenden Jugendlichen und die Vertreter der Gemeinden auf, den Behörden dabei zu helfen, die Gewalttäter auf den Bildern der Überwachungskameras zu identifizieren.

Ein führender Polizist von Scotland Yard erklärte unterdessen, das Profil der Krawallmacher habe sich seit Beginn der Ausschreitungen am Wochenende geändert. Während in den ersten beiden Nächten vor allem 14- bis 17-Jährige beteiligt waren, hätten in der Nacht zum Dienstag Gruppen älterer Randalierer mit Autos die Plünderungen organisiert, sagte Polizeioffizier Stephen Kavanagh. Einige hätten versucht, Sanitäter und Feuerwehrleute anzureifen.

Cameron beruft Nationalen Sicherheitsrat ein

Der britische Premierminister David Cameron unterbrach wegen der andauernden Krawalle seinen Sommerurlaub und berief für Dienstagmorgen den Nationalen Sicherheitsrat ein. Um 10 Uhr deutscher Zeit soll das Komitee zusammentreten. Die Krawalle hatten in der Nacht zum Sonntag im Londoner Problemviertel Tottenham begonnen. Zuvor war dort ein 29-Jähriger von einem Polizisten erschossen worden.

Am Dienstagmorgen gab es Berichte über Gewalt, Brände und Plünderungen aus acht Stadtvierteln in allen Teilen Londons - von Ealing im Westen bis Hackney im Osten, von Croydon im Süden bis Camden im Norden. Bei einer Schießerei in Croydon wurde ein Mann schwer verletzt.

Britische Zeitungen sprachen von einer "Schlacht um London“. Seit Beginn der Ausschreitungen wurden nach Angaben von Scotland Yard 334 Randalierer festgenommen. Die Polizei hatte in der Nacht allein in der britischen Hauptstadt rund 6000 Beamte im Einsatz. 44 Polizisten wurden verletzt. Am Dienstagmorgen wurden zwei für den Abend in London angesetzte Spiele des englischen Fußball-Ligapokals verschoben. Die Spiele von West Ham United gegen Aldershot und Charlton Athletic gegen Reading wurden auf einen unbestimmten Zeitpunkt verlegt. "Die Polizei hat uns gebeten, das Spiel zu verlegen“, hieß es in einer Mitteilung des Premier-League-Absteigers West Ham United. Am Mittwoch findet im Londoner Wembley-Stadion der Länderspiel-Klassiker zwischen England und den Niederlanden statt.

Ausschreitung an fünf weiteren Orten

In London nahm die Polizei drei Personen unter dem Verdacht auf versuchten Polizistenmord fest. Der Beamte war am frühen Dienstagmorgen in Brent im Norden der Hauptstadt angefahren worden und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Gemeinsam mit einem Kollegen – der leichte Verletzungen davon trug – hatte er nach der Plünderung eines nahe gelegenen Elektronikgeschäfts mehrere Fahrzeuge angehalten. Dabei sei ein Auto davon gefahren und habe den Beamten erfasst, teilte die Polizei mit. Das Fahrzeug sei später erneut gestoppt und drei Personen festgenommen worden.

Zudem wurden in der Hauptstadt die dritte Nacht in Folge Häuser und Autos in Brand gesteckt, Läden aufgebrochen und Beamte mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Die Polizei bestätigte am Dienstag, dass es an mindestens fünf weiteren Orten zu Ausschreitungen gekommen sei.

+++ Plünderungen in London +++

Zu Ausschreitungen kam es auch in Birmingham, wo Dutzende Personen Geschäfte angriffen. In Liverpool und Bristol kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Im Londoner Stadtteil Hackney attackierten hunderte Jugendliche Geschäfte und zündeten Autos an. Plünderer erbeuteten Alkohol, Zigaretten, Süßigkeiten und Toilettenpapier. "Das ist der Aufstand der Arbeiterklasse. Wir verteilen den Wohlstand um“, sagte der 28-jährige Bryan Phillips, der sich selbst als Anarchist bezeichnet. Die Polizei sagte, dass 334 Personen festgenommen wurden. Gegen 69 sei Anklage erhoben worden, hieß es weiter. Erst gegen Morgen schien sich die Lage nach Aussage der Polizei wieder zu beruhigen.

Attacken werden über Soziale Netzwerke koordiniert

Viele der zumeist kleinen Gruppen von Jugendlichen nutzen SMS, Instant Messenger und Twitter, um ihre Angriffe zu koordinieren und sich einen Vorsprung vor der Polizei zu verschaffen. Diese wies auf mögliche Festnahmen hin, falls jemand Nachrichten in Sozialen Medien veröffentliche, die zur Gewalt aufriefen. Der Londoner Notdienst berichtete, dass er 16 Personen behandelt habe, von denen 15 ins Krankenhaus eingeliefert worden seien.

Angesichts der zahlreichen Brände, die die Feuerwehr bekämpfen musste, warnte der Versorger Thames Water, dass einige seiner Kunden mit einem niedrigeren Wasserdruck rechnen müssten.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) teilte mit, es habe Vertrauen in die britischen Behörden. London ist im nächsten Jahr Gastgeber der Spiele. "Sicherheit bei den Olympischen Spielen hat eine hohe Priorität für das IOC“, sagte Sprecher Mark Adams.

Mit Material von dpa, dapd und sid