Die syrische Armee feuert in Hama auf Wohnsiedlungen. Aber die Rechnung von Diktator Assad geht nicht auf: Der Widerstand wächst.

Hama. Schüsse peitschen durch das nächtliche Daraa, als Dutzende von Männern auf die Straße strömen. In dem Ort an der jordanischen Grenze, wo der Protest gegen Baschar al-Assads autoritäres Regime vor mehr als vier Monaten begann, hat die Armee am Wochenende zu einer neuen, groß angelegten Offensive angesetzt. Doch die Männer schreien ihren Protest nicht für ihre eigene Stadt heraus, sie riskieren ihr Leben, um ihre Unterstützung für Hama im Westen des Landes zu demonstrieren: "Unser Blut und unsere Seele geben wir für dich, oh, Hama."

Verwackelte Bilder im Internet zeigen, was in der Nacht zu Montag in Daraa geschah; es sind Szenen, die sich gestern in vielen syrischen Städten und Dörfern wiederholten. In Aleppo, an den Rändern von Damaskus, in Idlib im Norden und in den Dörfern im Westen, überall demonstrierten die Menschen für die Bewohner der belagerten Stadt Hama. "Oh, Geschichte, erfasse dies: Das Blut von Hama ist auf der Straße", skandierten die Menschen in Dael tief im Süden des Landes.

In den vergangenen Tagen hat die Armee eine koordinierte Operation in mehreren Hochburgen des Protests vorangetrieben, die an Brutalität alles übertrifft, was Syrien seit dem Ausbruch des Konflikts Mitte März erlebt hat. Schätzungen von Menschenrechtlern zufolge sind am Sonntag landesweit rund 140 Menschen gestorben, knapp 100 davon allein in Hama.

Seit Anfang Juli hatte das Regime die Kontrolle über die viertgrößte Stadt des Landes nach und nach verloren. Denn in Hama ist jeder militärische Einsatz wegen der blutigen Geschichte der Stadt besonders heikel. Im Jahr 1982 schlug der damalige Präsident Hafis al-Assad, der Vater Baschars, dort einen Aufstand der Muslimbrüder nieder. Nun bringt der aktuelle Konflikt das Trauma von damals zurück. Das Regime ist sich offenbar durchaus bewusst, dass es in Hama vor einer riskanten Herausforderung steht: Anfang Juli zogen sämtliche Soldaten und Mitarbeiter der Geheimdienste ab - die Stadt blieb sich mehr oder weniger selbst überlassen. In der Folge griffen die Demonstrationen weiter um sich; Aktivisten erklärten Hama zur "befreiten Stadt".

Nun, zu Beginn des Fastenmonats Ramadan, versucht das Regime, Hama mit allen Mitteln wieder zu unterwerfen. Doch es sieht so aus, als würde die Gewalt der Sicherheitskräfte das genaue Gegenteil erreichen. Die Brutalität der Armee facht den Zorn des Volkes immer weiter an. Sogar in Hama selbst trotzten Dutzende der Belagerung: "Wir lassen uns nicht noch einmal töten", riefen die Demonstranten. "Das Regime hat eine strategische Entscheidung in Bezug auf Hama getroffen", sagt der syrische Menschenrechtsaktivist Wissam Tarif. "Sie wollen ein klares Signal senden: ,Wir sind zurück in Hama, dies ist keine befreite Stadt.' Doch die Leute sind nicht mehr bereit, die Gewalt hinzunehmen. Es zeichnet sich ab, dass die Proteste eskalieren werden." Allerdings haben die Bewohner von Hama den Panzern und Gewehren der Armee wenig entgegenzusetzen. Bislang gibt es in der westsyrischen Stadt keine Anzeichen, dass Regimegegner zu den Waffen gegriffen haben.

Die Armee indessen hat ihre Angriffe gestern fortgesetzt. Augenzeugen berichten, dass Soldaten wieder mit Panzern und Maschinengewehren auf Wohnsiedlungen feuerte. "Bislang sind sie jedoch nicht ins Zentrum der Stadt vorgedrungen", sagt Omar Habbal, ein Ingenieur und Oppositioneller in Hama. "Die Leute haben Autoreifen, Zementblöcke, Gartenzäune und Mülltonnen auf der Straße aufgetürmt, um ihnen den Weg zu versperren. Nun sitzen sie auf den Barrikaden und sind bereit, der Armee zu begegnen."

Zudem hätten die Anwohner Checkpoints errichtet, um Informanten des Geheimdienstes aufspüren zu können. Einige von ihnen hätten sie gefasst, sagt der Regimegegner: "Sie behalten sie zunächst als Geiseln und versuchen, sie gegen die Gefangenen auszutauschen, die von den Sicherheitskräften verhaftet worden sind." 38 Menschen sind nach Angaben von Aktivisten seit Sonntag in Hama verschwunden. Inzwischen spitzt sich die humanitäre Situation zu: Anwohnern zufolge gehen den Krankenhäusern Blutkonserven und Medikamente aus. "Doch wir werden nicht aufgeben, was auch immer sie tun", sagt Omar Habbal. "1982 hat niemand gekämpft, und trotzdem sind Zehntausende gestorben. Diesmal werden wir uns verteidigen."

So scheint es derzeit, als stehe Hama nach wie vor eher unter der Kontrolle seiner Bevölkerung als unter der des Militärs. Zudem ist die Armee offenbar am Ende ihrer Kapazitäten angelangt. Nach Informationen des Menschenrechtlers Wissam Tarif hielt sich gestern weder in Hama noch in Deir Azzour und den Vororten der Hauptstadt Damaskus eine größere Zahl von Soldaten auf. Auch hat Präsident Assad seine Version der Ereignisse abgewandelt. Bislang machte das Regime vor allem militante Extremisten für die Gewalt verantwortlich. Jetzt weist Assad ausländischen Verschwörern die Schuld zu.

Die internationale Gemeinschaft hat das brutale Vorgehen der Armee verurteilt. Sowohl die EU als auch die Uno kritisierten Assad scharf. Die arabischen Nachbarländer dagegen reagierten bislang nicht.