Was sich derzeit am Horn von Afrika und speziell in Somalia ereignet, ist eine der schlimmsten humanitären Katastrophen seit Jahrzehnten.

Addis Abeba. Manche Zustände auf der Welt sind so dramatisch, dass selbst hart gesottene Männer fast sprachlos werden. Antonio Guterres, der als Chef des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) seit seinem Amtsantritt 2005 immer wieder Krisengebiete auf der Welt bereist hat, fand sich jetzt im Flüchtlingscamp Dadaab in Kenia in einer solchen Situation wieder. „Noch nie habe ich in einem Flüchtlingscamp Menschen in einem so verzweifelten Zustand gesehen“, sagte er und fügte hinzu, die Dürre in Somalia sei die „schlimmste humanitäre Katastrophe“ der Welt.

Rund 25 Jahre nachdem der britische Musiker Bob Geldof in den 1980er Jahren das „Live Aid“-Konzert zugunsten der von einer verheerenden Hungersnot betroffenen Menschen in Äthiopien organisiert hat, blickt die Welt jetzt wieder geschockt ans Horn von Afrika. Nur ist die Lage dieses Mal noch schlimmer. Die Vereinten Nationen sprechen seit Wochen von der schwersten Dürre in der Region seit 60 Jahren.

Die Geschichten, die die Menschen in den Camps in Kenia und Äthiopien erzählen, sind furchtbar und übersteigen das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen in den Industrieländern. „Ich habe eine Mutter gesehen, die auf dem Weg nach Dadaab drei ihrer Kinder verloren hat“, zitierte der arabische Sender Al-Dschasira den Portugiesen Guterres.

Judith Schuler vom Welternährungsprogramm (WFP) in Äthiopien berichtet der Nachrichtenagentur dpa von einem anderen Schicksal aus dem Flüchtlingscamp Dolo Ado in Äthiopien: „Die im achten Monat schwangere Somalierin Fatuma sagte mir, alle ihre 30 Kühe seien der Dürre zum Opfer gefallen. Die junge, hochschwangere Frau war drei Tage auf einem völlig überfüllten Lastwagen unterwegs, um das Nachbarland zu erreichen.“ Aber die Reise sei ihre einzige Hoffnung gewesen, sonst wären sie und ihr Baby gestorben.

Die Hilfsorganisationen tun, was sie können, verteilen mit Vitaminen und Lebensmitteln angereicherte Lebensmittel an die völlig unterernährten Kinder und geben medizinische Hilfe. Aber es sind zehn Millionen Menschen, darunter allein zwei Millionen Kinder, die derzeit von der Hungersnot bedroht sind.

Ohne „massive Spenden“ der internationalen Gemeinschaft, zu denen Guterres jetzt nochmals in einem dramatischen Appell aufrief, werden viele von ihnen keine Chance haben, die Katastrophe zu überleben. „Es fehlt an Lebensmitteln, an Helfern, einfach an allem“, sagte ein Mitarbeiter von „Save the Children“ der BBC.

Der UNHCR-Chef will nun sobald wie möglich mit dem kenianischen Präsidenten Mwai Kibaki über die Öffnung eines weiteren Camps beraten. Die Regierung in Nairobi hatte es bisher abgelehnt, die Fertigstellung eines neuen Camps für 40 000 Menschen in der Nähe von Dadaab zu genehmigen, da sie befürchtet, die Flüchtlinge würden dann dauerhaft im Land bleiben.

Dadaab war ursprünglich für 90 000 Menschen gebaut worden. Mit rund 380 000 Flüchtlingen ist es heute das größte Camp der Welt. Aber jede Woche strömen weitere 10 000 Menschen zur Registrierung, und die Zahl der völlig auf Hilfe von außen angewiesenen Flüchtlinge könnte sich bald auf 500 000 erhöhen. In den drei Camps im äthiopischen Dolo Ado ist die Situation kaum besser.

Es seien „die Ärmsten der Armen und die Verwundbarsten der Verwundbaren“, die in den Lagern Zuflucht suchen, erklärte Guterres. Dabei herrscht auch in Teilen Äthiopiens und Kenias die gleiche schwere Dürre. Nur ist die Situation im seit vielen Jahren von einem blutigen Bürgerkrieg zerrütteten Somalia noch schlimmer, fast unvorstellbar schlimm.

Krisenstaat am Horn von Afrika

Somalia gilt als krasses Beispiel eines gescheiterten Staates. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 gibt es in dem Küstenstaat am Horn von Afrika keine funktionierende Zentralregierung. In der Hauptstadt Mogadischu herrscht fast ständig Ausnahmezustand. Somalia zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Die weitgehende Abwesenheit effektiver staatlicher Strukturen hat das Land zur Brutstätte für Piraterie und zum Rekrutierungsfeld für Terroristen gemacht.

Die fast zehn Millionen Einwohner leiden neben dem langjährigen Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Clans auch unter häufigen Dürre- und Flutkatastrophen. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung, von der fast 45 Prozent Kinder sind, lebt mit einem chronischem Mangel an Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten. Die Zahl der Flüchtlinge liegt nach UN-Angaben bei mehr als zwei Millionen.

Islamistische Milizen wie Al-Shabaab (arabisch: Jugend) kontrollieren große Teile des Landes und greifen immer wieder die dort stationierten Friedenstruppen der Afrikanischen Union an. Mit Terror gegen die Bevölkerung und drakonischen Strafen wollen die Milizionäre einen Gottesstaat durchsetzen.

Mit Material von dpa