Tausende Menschen treffen allein wöchentlich in einem Auffanglager ein. Die Uno ist mit der Bewältigung des Flüchtlingsstroms überfordert.

Dadaab/Genf. Angesichts der verheerenden Hungerkrise in Ostafrika sind die Vereinten Nationen nach eigenen Angaben mit der Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus Somalia überfordert. Wöchentlich träfen allein im kenianischen Auffanglager Dadaab Tausende Menschen ein, sagte ein Sprecher des Uno-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Adrian Edwards, am Dienstag vor Reportern in Genf. Bei ihnen handelt es sich demnach zumeist um Somalier, die ihre Heimat wegen der schweren Dürre und der anhaltenden Gewalt verlassen haben.

Der UN lägen zwar keine genaue Zahl über die Flüchtlinge in Ostafrika vor, jedoch sei „die Zukunftsprognose derzeit äußerst schlecht,“ erklärte Edwards. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind insbesondere Kinder in jüngster Zeit zunehmend von Unterernährung bedroht. So besteht laut dem Uno-Kinderhilfswerk (UNICEF) allein in Kenia für 65.000 Kinder akute Lebensgefahr.

Als Folge der Dürre seien Millionen Menschen von Hunger bedroht, zahlreiche Bauern liefen Gefahr, ihren Lebensunterhalt zu verlieren, erklärte die Direktorin des Uno-Welternährungsprogramms (WFP), Josette Sheeran. Angesichts der dringlichen Lage würden die Lebensmittellieferungen in die Region drastisch erhöht. Das WFP brauche jedoch noch zusätzliche Spendengelder in Höhe von 189 Millionen Dollar (rund 136 Millionen Euro), um auf die Summe von 477 Millionen Dollar (328 Millionen Euro) zu kommen, die für die Versorgung der Menschen am Horn von Afrika benötigt würden, sagte sie.

Dort ist die Lage inzwischen „deutlich schlechter“ als noch im März, wie der Uno-Experte für Menschenrechtsfragen in Somalia, Shamsul Bari, am Dienstag in einer Stellungnahme erklärte. Schon vor vier Monaten habe er die langsame Reaktion der Weltgemeinschaft beklagt und darauf hingewiesen, dass täglich Tausende Somalier nach Äthiopien, Kenia und Dschibuti flüchteten, hieß es. Sollte die Staatengemeinschaft nicht sofort eingreifen und umfassende Unterstützung gewähren, würden Millionen Menschen in Somalia und am Horn von Afrika verhungern, warnte Bari. So erlebten die Somalier derzeit „die dringlichste humanitäre Tragödie der Welt.“ (dapd/abendblatt.de)

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Dramatische Not in Somalia: Dürre lässt Millionen hungern

Manche Zustände auf der Welt sind so dramatisch, dass selbst hart gesottene Männer fast sprachlos werden. Antonio Guterres, der als Chef des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) seit seinem Amtsantritt 2005 immer wieder Krisengebiete auf der Welt bereist hat, fand sich jetzt im Flüchtlingscamp Dadaab in Kenia in einer solchen Situation wieder. „Noch nie habe ich in einem Flüchtlingscamp Menschen in einem so verzweifelten Zustand gesehen“, sagte er und fügte hinzu, die Dürre in Somalia sei die „schlimmste humanitäre Katastrophe“ der Welt.

Rund 25 Jahre nachdem der britische Musiker Bob Geldof in den 1980er Jahren das „Live Aid“-Konzert zugunsten der von einer verheerenden Hungersnot betroffenen Menschen in Äthiopien organisiert hat, blickt die Welt jetzt wieder geschockt ans Horn von Afrika. Nur ist die Lage dieses Mal noch schlimmer. Die Vereinten Nationen sprechen seit Wochen von der schwersten Dürre in der Region seit 60 Jahren.

Die Geschichten, die die Menschen in den Camps in Kenia und Äthiopien erzählen, sind furchtbar und übersteigen das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen in den Industrieländern. „Ich habe eine Mutter gesehen, die auf dem Weg nach Dadaab drei ihrer Kinder verloren hat“, zitierte der arabische Sender Al-Dschasira den Portugiesen Guterres.

Judith Schuler vom Welternährungsprogramm (WFP) in Äthiopien berichtet der Nachrichtenagentur dpa von einem anderen Schicksal aus dem Flüchtlingscamp Dolo Ado in Äthiopien: „Die im achten Monat schwangere Somalierin Fatuma sagte mir, alle ihre 30 Kühe seien der Dürre zum Opfer gefallen. Die junge, hochschwangere Frau war drei Tage auf einem völlig überfüllten Lastwagen unterwegs, um das Nachbarland zu erreichen.“ Aber die Reise sei ihre einzige Hoffnung gewesen, sonst wären sie und ihr Baby gestorben.

Die Hilfsorganisationen tun, was sie können, verteilen mit Vitaminen und Lebensmitteln angereicherte Lebensmittel an die völlig unterernährten Kinder und geben medizinische Hilfe. Aber es sind zehn Millionen Menschen, darunter allein zwei Millionen Kinder, die derzeit von der Hungersnot bedroht sind.

Ohne „massive Spenden“ der internationalen Gemeinschaft, zu denen Guterres jetzt nochmals in einem dramatischen Appell aufrief, werden viele von ihnen keine Chance haben, die Katastrophe zu überleben. „Es fehlt an Lebensmitteln, an Helfern, einfach an allem“, sagte ein Mitarbeiter von „Save the Children“ der BBC.

Der UNHCR-Chef will nun sobald wie möglich mit dem kenianischen Präsidenten Mwai Kibaki über die Öffnung eines weiteren Camps beraten. Die Regierung in Nairobi hatte es bisher abgelehnt, die Fertigstellung eines neuen Camps für 40 000 Menschen in der Nähe von Dadaab zu genehmigen, da sie befürchtet, die Flüchtlinge würden dann dauerhaft im Land bleiben.

Dadaab war ursprünglich für 90 000 Menschen gebaut worden. Mit rund 380 000 Flüchtlingen ist es heute das größte Camp der Welt. Aber jede Woche strömen weitere 10 000 Menschen zur Registrierung, und die Zahl der völlig auf Hilfe von außen angewiesenen Flüchtlinge könnte sich bald auf 500 000 erhöhen. In den drei Camps im äthiopischen Dolo Ado ist die Situation kaum besser.

Es seien „die Ärmsten der Armen und die Verwundbarsten der Verwundbaren“, die in den Lagern Zuflucht suchen, erklärte Guterres. Dabei herrscht auch in Teilen Äthiopiens und Kenias die gleiche schwere Dürre. Nur ist die Situation im seit vielen Jahren von einem blutigen Bürgerkrieg zerrütteten Somalia noch schlimmer, fast unvorstellbar schlimm.

Krisenstaat am Horn von Afrika

Somalia gilt als krasses Beispiel eines gescheiterten Staates. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 gibt es in dem Küstenstaat am Horn von Afrika keine funktionierende Zentralregierung. In der Hauptstadt Mogadischu herrscht fast ständig Ausnahmezustand. Somalia zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Die weitgehende Abwesenheit effektiver staatlicher Strukturen hat das Land zur Brutstätte für Piraterie und zum Rekrutierungsfeld für Terroristen gemacht.

Die fast zehn Millionen Einwohner leiden neben dem langjährigen Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Clans auch unter häufigen Dürre- und Flutkatastrophen. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung, von der fast 45 Prozent Kinder sind, lebt mit einem chronischem Mangel an Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten. Die Zahl der Flüchtlinge liegt nach UN-Angaben bei mehr als zwei Millionen.

Islamistische Milizen wie Al-Shabaab (arabisch: Jugend) kontrollieren große Teile des Landes und greifen immer wieder die dort stationierten Friedenstruppen der Afrikanischen Union an. Mit Terror gegen die Bevölkerung und drakonischen Strafen wollen die Milizionäre einen Gottesstaat durchsetzen.

Mit Material von dpa