Auch Europa hilft im Kampf gegen die nukleare Katastrophe. Kernschmelze-Gefahr nicht gebannt. Noch 10 300 Erdbebenopfer vermisst

Tokio/Hamburg. Naoto Kan demonstriert Zuversicht. Der japanische Regierungschef räumte zwar "enorme Schwierigkeiten" in dem vom Erdbeben stark beschädigten Atomkraftwerk Fukushima ein. Seiner Regierung aber sei entschlossen, die dortige Lage unter Kontrolle zu bekommen. Japan, sagte er, werde diese Tragödie überstehen.

Doch die Gefahr einer Kernschmelze in dem zerstörten Meiler ist nach wie vor noch nicht gebannt. Im Gegenteil: Die japanische Atomsicherheitsbehörde stufte die Lage zu einem "ernsten Unfall" der Stufe 5 herauf. Die nukleare Katastrophe in Tschernobyl 1986 hatte die Stufe 7. Fukushima ist jetzt auch offiziell nicht mehr nur ein lokales Unglück. Die Behörde geht von weitergehenden Folgen aus. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Yukiya Amano, sprach von einem "Wettlauf gegen die Zeit".

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht das anders. Es gebe "keine Hinweise auf eine signifikante Verbreitung von radioaktivem Material" abseits der unmittelbaren Umgebung des Atomkraftwerks Fukushima-Daiichi, sagte der Leiter der WHO in China, Michael O'Leary. Außerhalb einer Zone von 30 Kilometern rund um das Kraftwerk besteht nach Auffassung von Gesundheitsexperten nur ein geringes Risiko. Dennoch überwachen China und andere asiatische Länder das Strahlungsniveau nun gründlicher als zuvor.

Wasserwerfer der Armee sprühen nun schon zwei Tage hintereinander ununterbrochen Meerwasser über die Reaktoren. Sie haben Unterstützung bekommen aus den USA, die einen weiteren Wasserwerfer schicken.

Auch die Europäische Union hilft. "Wir stehen mit technischer Hilfe bereit, um beim Herunterkühlen des Atommeilers zu helfen", sagte eine Sprecherin der EU-Kommission am Freitag in Brüssel. Dabei gehe es vor allem um mittel- und langfristige Hilfe: Nach ihren Angaben wird es rund ein Jahr dauern, bis der Reaktor komplett heruntergekühlt ist. In dieser langen Periode könnten die EU-Länder mit Material, technischen Geräten und Experten helfen. Bislang gebe es aber noch keine Anfrage der Regierung in Tokio.

Doch noch immer ist zu wenig Wasser in den Kühlbecken der Reaktoren. Und der Wasserpegel sinkt weiter. Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA ist der Stand im Reaktor 1 derart niedrig, dass er von den Messgeräten nicht mehr eindeutig erfasst werden kann. Liegen die Brennstäbe frei, schwellen sie auf und schmelzen. Es entsteht eine enorme Hitze.

Umso entscheidender ist die Arbeit an dem Starkstromkabel, das die Pumpen für das Kühlwasser wieder mit Strom versorgen soll. Glaubt man dem Betreiber des Kraftwerks, Tokyo Electric Power Co., dann sind die Arbeiten an der Stromleitung fast fertig. Die neu verlegte Verbindung soll bis spätestens Sonntag in Betrieb genommen werden. Der Rückzug zahlreicher ausländischer Firmen und ihrer Mitarbeiter wird von den Japanern mit Sorge beobachtet. Inzwischen haben auch die Hochschulen, darunter die Sophia-Universität in Tokio, den Lehrbetrieb eingestellt und vorerst bis zum 23. März geschlossen. Das berichtet die Hamburger Japanologin Prof. Gabriele Vogt. "Die Graduiertenfeiern für Studenten, die gerade ihren Abschluss gemacht haben, wurden abgesagt. Damit soll erreicht werden, dass nicht mehr so viele Menschen unterwegs sein müssen."

Die Gruppen von 50 Mitarbeitern, die ihr Leben am Atomkraftwerk Fukushima riskierten, würden in Japan hoch geschätzt. "Die Grundstimmung ist: Wir haben jetzt eine Krise, und jeder muss sein Bestmögliches geben", sagt sie. Dazu habe auch die Ansprache des japanischen Kaisers vor zwei Tagen beigetragen, der dazu aufrief, ruhig zu bleiben und solidarisch zusammenzustehen. Das verstärke den Aufruf des japanischen Premierministers Kan zur Besonnenheit. "Nach meinem Eindruck ist das Vertrauen der Japaner immer noch groß, dass die Regierung ihr Bestes tut. Sie hat neben den Atomproblemen ja auch noch zwei extreme Umweltkatastrophen zu managen."

Es war 14.46 Uhr am Freitag, der Zeitpunkt des Bebens vor einer Woche, als die Menschen im Nordosten Japans der Toten gedachten. Durch das Beben und die Tsunamiwelle, die einer japanischen Studie zufolge mindestens 23 Meter hoch war, wurden mehr als 6500 Menschen getötet. Die Zahl der Opfer steigt noch immer an. 10 300 Menschen werden noch vermisst. Die geringen Chancen, noch Verschüttete zu finden, werden durch bittere Kälte gemindert. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt leben zahllose Menschen in Notunterkünften. Ohne Strom, Gas und Wasser. Nur dünne Wolldecken schützen sie vor der Kälte.

Gestern trafen 15 Experten der EU in Japan ein. Sie sollen eine Luftbrücke von Europa und die Verteilung von Hilfsgütern in Japan koordinieren. Bislang beteiligten sich neun Mitgliedstaaten an der Aktion. Die Länder hätten unter anderem bereits 100 000 Decken, 11 000 Kanister und Tausende Feldbetten nach Japan geschickt.