Italiens Premier Berlusconi muss sich in einem Schnellverfahren wegen Amtsmissbrauchs verantworten: Er hat “Ruby“ aus dem Gefängnis geholt.

Hamburg/Rom. Ganz Europa blickt auf ein kleines italienisches Eiland zwischen Sizilien und Tunesien. Die Flut verzweifelter Flüchtlinge aus Tunesien macht Lampedusa zu einem Pulverfass und droht Italien zu überfordern. Jeder Politiker zwischen Helsinki und Lissabon hofft natürlich, dass sich die Lage rasch entspannt.

Doch einem Mann trauen manche zu, dass er eher auf eine Eskalation der Krise hoffen könnte: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Der Wiener "Standard" schrieb, so tragisch der Flüchtlingsstrom aus Tunesien Richtung Italien für die Betroffenen auch sei - Berlusconi sei kaltblütig genug, um daraus politisches Kapital zu schlagen. So könnte er Italien als Opfer der Revolutionen im arabischen Raum darstellen; schon lamentiert er, Italien werde von Europa alleingelassen.

Doch der in allen Farben schillernde 74-jährige "Cavaliere" wird schon eine sehr heftige außenpolitische Krise benötigen, um von seiner ganz persönlichen ablenken zu können.

Hintergrund ist eine spektakuläre richterliche Entscheidung. Fünf Tage lang hatte die Mailänder Untersuchungsrichterin Cristina di Censo Zeit, um auf Antrag der Staatsanwälte darüber zu entscheiden, ob gegen den Premier ein Schnellverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution Minderjähriger eröffnet werden soll. Und gestern entschied sie: Der Prozess wird kommen. Sollte der zehnfache Milliardär und mächtigste Medienmogul Italiens tatsächlich schuldig gesprochen werden, könnten ihm bis zu 15 Jahre Haft und damit das Ende seiner politischen Karriere drohen.

Der Vorwurf des Amtsmissbrauchs bezieht sich darauf, dass Berlusconi im Mai vergangenen Jahres die Marokkanerin Karima al-Mahroug per telefonischer Intervention aus der Polizeihaft befreit haben soll. Indem er - ausgerechnet - behauptete, die junge Dame sei die Nichte des inzwischen getürmten ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak. Sie war dort gelandet, nachdem eine Frau sie beschuldigt hatte, ihr eine wertvolle Uhr und Geld entwendet zu haben. Eine früher am Berlusconi-Gebiss tätige Zahnarzthelferin und jetzige Regionalparlamentsabgeordnete holte die junge Dame auf Geheiß des Premiers ab.

Die ehemalige Bauchtänzerin und Kosmetikerin al-Mahroug mit dem Künstlernamen "Ruby Rubacuori" - Ruby, die Herzensdiebin - ist eine gern gebuchte "Hostess" für Festivitäten der lebhafteren Variante. Berlusconi hatte die junge Marokkanerin zusammen mit etlichen anderen aufgeschlossenen Kolleginnen zu seinen berüchtigten "Bunga-Bunga"-Partys in seine Mailänder Prachtvilla Arcore eingeladen.

Wo sie die Herren aus Berlusconis Freundeskreis mit diversen Aufmerksamkeiten erfreuten. Ruby soll nach eigenen Aussagen vor der Staatsanwaltschaft von Berlusconi als Gegenleistung 30 000 Euro, eine teure Uhr, Schmuck und Designermode erhalten haben.

Hierbei ist das Alter der "Herzensdiebin" von besonderer Bedeutung für das Rechtsverfahren - denn sie war bei den Feiern im vergangenen Jahr erst 17 und damit minderjährig. Sowohl der Premier als auch die junge Hostess behaupten, es sei nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen, Augenzeugen berichteten aber von intimen Berührungen seitens des "Cavaliere".

Die Staatsanwaltschaft konnte ein Schnellverfahren beantragen, weil sie sich ganz sicher war, dass die auf 700 Seiten aufgeführten Beweise dafür ausreichen. Nach italienischen Medienberichten wurden die wüsten Partys in der Villa Arcore abgehört, die Bänder gehörten zu den Hauptbeweisen. Der Prozess soll am 6. April beginnen.

Silvio Berlusconi bekommt es nun mit einer entschlossenen Widersacherin zu tun, die seit 15 Jahren darauf gelauert hat, ihn endlich hinter Gitter zu bringen. Die 61-jährige Staatsanwältin Ilda Boccassini, nicht nur wegen ihrer feurigen Haare "Ilda la Rossa" - Ilda die Rote - genannt, hat sich einen Namen als knallharte Mafiajägerin gemacht. Ihr Kollege im Fall Berlusconi, Chefankläger Edmondo Bruti Liberati, 66, entstammt einem alten Grafengeschlecht.

Berlusconi, der sich bislang noch jedes Mal dem Zugriff der Justiz entwinden konnte, erklärte, die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Er sei "keineswegs beunruhigt deswegen". Seine Anwälte hätten sich nicht entblödet zu behaupten, Ruby habe sich ihm gegenüber tatsächlich als Nichte Mubaraks ausgegeben, der Premier habe dies geglaubt und nur eine diplomatische Krise mit Kairo verhindern wollen.