Noch herrscht der Militärrat in Ägypten, doch der Kampf um die Macht in Kairo hat längst begonnen. Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten.

Hamburg/Kairo. Drei Tage nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak, der Ägypten fast 30 Jahre lang autokratisch beherrscht hatte, bemühte sich das Militär zu Wochenbeginn um eine Rückkehr zur Normalität. Auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo, der während der 18 Tage währenden Massenproteste zum Zentrum des Widerstands gegen Mubarak und sein Regime geworden war, sorgten Militärpolizisten für einen reibungslos fließenden Autoverkehr. Am Wochenende hatte das Militär die letzten Demonstranten ultimativ aufgefordert, den Platz zu verlassen, Barrikaden und andere Utensilien des Protests waren weggeräumt worden. Zwar ist der Massenprotest vorüber, doch nun gehen einzelne Berufsgruppen wie Polizisten, Beamte und Angestellte auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld zu protestieren.

Der Oberste Militärrat, der in Ägypten zunächst die Macht ausübt, hat die umstrittene Verfassung außer Kraft gesetzt, Regierung und Parlament aufgelöst und Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten angekündigt.

Zudem nahm das Gremium unter Feldmarschall Hussein Tantawi einen Dialog mit Internetaktivisten über die Zukunft des Landes auf. Das Internet und soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook spielten eine große Rolle bei der Organisation der Proteste.

Tantawi, der 20 Jahre lang Verteidigungsminister unter Mubarak war und damit eine der Säulen des Regimes, ist als Vorsitzender des Obersten Militärrats derzeit der wohl mächtigste Mann Ägyptens. Die Opposition verfolgt seine Maßnahmen mit großer Aufmerksamkeit und auch einigem Argwohn.

Der 75-jährige Feldmarschall trägt den wenig schmeichelhaften Beinamen "Mubaraks Pudel". In geheimen Depeschen an das US-Außenministerium, die WikiLeaks veröffentlichte, nannte der amerikanische Botschafter in Kairo, Francis Ricciardone, Tantawi im Jahre 2008 "alt und einem Wandel abgeneigt". Mubarak und Tantawi ginge es ausschließlich um die Stabilität des Regimes. Der als "charmant und taktvoll" geschilderte Tantawi habe seinen Einfluss sogar dazu genutzt, wirtschaftliche und soziale Reformen zu verhindern - weil er fürchtete, sie könnten die Macht der Regierung schwächen.

Obwohl die USA das ägyptische Militär mit jährlich rund 1,3 Milliarden Dollar subventionieren, halte Hussein Tantawi Abstand zu Washington.

Das sei bei der Nummer zwei des Obersten Militärrats, General Sami Hafez Enan, ganz anders. Der 62-jährige, noch von den Sowjets ausgebildete Stabschef sei sogar in Washington gewesen, als der Protest in Kairo aufgeflammt sei, schrieb die "New York Times". Enan sei seltsamerweise sowohl für die USA als auch für die teilweise islamistische Muslimbruderschaft akzeptabel und werde als "Mann der Zukunft" angesehen.

Auch die übrigen drei Führungsfiguren des Obersten Militärrats - Generalleutnant Seif-Eldeein, Chef der Luftverteidigung, Vizeadmiral Mohab Mamish, Kommandeur der Marine, und Luftwaffenchef Luftmarschall Reda Mohammed - hätten starke Verbindungen zu den Vereinigten Staaten. Derzeit geben nur aktive Militärs den Ton in Ägypten an, doch nach der Übergangsphase in die erhoffte Zivilgesellschaft dürften andere Personen eine entscheidende Rolle im stärksten arabischen Land spielen.

Da ist der ungemein populäre frühere Außenminister Amr Mussa. Der 74-Jährige ist scheidender Generalsekretär der Arabischen Liga. Mussa ist ein vehementer Kritiker einer "übereilten" Aussöhnung mit Israel und gilt als amerikakritisch. Er will kandidieren, und bei direkten Präsidentschaftswahlen würde er wohl gewählt werden.

Der im Ausland bekannteste Oppositionspolitiker ist Mohammed al-Baradei. Der 68-jährige Friedensnobelpreisträger und ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hat jedoch die Hälfte seines Lebens im Ausland verbracht, hat keine Machtbasis im Volk und keine Partei hinter sich. Es wurden sogar schon Stimmen laut, al-Baradei versuche die Revolution für seine Ziele zu "kidnappen".

Omar Suleiman, Vizepräsident zwischen 29. Januar und 11. Februar, wäre für Israel und die USA ein idealer Partner, ist jedoch kaum für die ägyptische Oppositionsbewegung akzeptabel. Der 75-Jährige war bis vor Kurzem noch Chef des gefürchteten Geheimdienstes Muchabarat und einer der engsten Vertrauten von Mubarak. Dann gibt es noch den amtierenden Ministerpräsidenten Ahmed Shafik. Auch der 69-jährige Mubarak-Freund gilt - wenn überhaupt - nur als Mann des Übergangs.

Der Oppositionspolitiker Ayman Nour, der es 2005 wagte, gegen Mubarak zu kandidieren, saß danach jahrelang in Haft. Die neue Situation könnte ein Comeback für ihn bedeuten.

Der ehemalige Vize-Außenminister Abdullah al-Aschal und der frühere Ministerpräsident Kamal al-Ganzuri hatten sich mit Mubarak 2003 bzw. 1999 überworfen und ihre Ämter verloren. Sie wollen nun zurück an die Macht.