Die mächtige schiitische Hisbollah-Miliz soll Berichten zufolge für den Mord an Premier Hariri 2005 verantwortlich sein.

Hamburg. Die israelische Zeitung "Haaretz" spricht von einem "verängstigten Land", das in ständiger Furcht davor lebe, in ein neues Blutvergießen abzugleiten. Im Libanon wächst die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Berichten aus Beirut nach bewaffnen sich die Menschen zunehmend, um für eine kommende Auseinandersetzung gerüstet zu sein. So habe eine libanesische Website ein Interview mit einem Waffenhändler veröffentlicht, in dem der Mann von steil gestiegenen Verkaufszahlen an Feuerwaffen berichtete.

Vorangegangen war eine Schießerei in Beirut zwischen prosyrischen Sunniten und proiranischen schiitischen Hisbollah-Kämpfern mit vier Toten. 1975 bis 1990 war der Libanon Schauplatz eines verheerenden Bürgerkrieges unter Einbeziehung prosyrischer und proiranischer Milizen.

Auslöser eines neuen blutigen Konflikts könnte die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts über den Mord an dem libanesischen Ex-Premier Rafik Hariri sein. Der milliardenschwere Unternehmer war am 14. Februar 2005 in Beirut mit einer Autobombe in die Luft gesprengt worden. Mit Hariri starben damals 22 weitere Menschen. Am 13. Dezember 2005 hatte die libanesische Regierung den Uno-Sicherheitsrat um eine internationale Untersuchungskommission gebeten, die 2007 ihre Arbeit aufnahm. Deren Ergebnisse werden mit Spannung erwartet - und könnten ein politisches Erdbeben im Nahen Osten auslösen. Die bereits einmal verschobene Veröffentlichung soll bis Dezember vorliegen. Doch im Libanon kursieren bereits Berichte, nach denen der Uno-Report führende Mitglieder der Hisbollah-Miliz schwer beschuldigen wird. Deren Führer Hassan Nasrallah bemüht sich, seine vom Iran alimentierte Organisation als libanesisch-patriotisch darzustellen. Würde die Uno der Hisbollah aber den Mord an dem populären Rafik Hariri anlasten, so wäre das Ansehen der Schiiten-Miliz im freien Fall. Nasrallahs Ziel, per Wahlen die alleinige Macht im Libanon zu übernehmen - und damit den Iran de facto bis an die israelische Grenze vorrücken zu lassen -, wäre damit wohl hinfällig. Im Vorfeld der Veröffentlichung des Berichts haben sich die Hisbollah, der Iran und Syrien nach Kräften bemüht, das Uno-Tribunal auszuhebeln. So hat die Regierung in Damaskus Haftbefehl gegen insgesamt 33 Personen wegen "Falschaussage" im Fall Hariri ausgestellt. Unter ihnen ist auch der deutsche Staatsanwalt Detlev Mehlis, der im Auftrag der Uno noch vor dem Tribunal Ermittlungen vorgenommen und Syrien der Drahtzieherei des Attentats verdächtigt hatte.

Doch nach Recherchen des "Spiegels" und des Pariser "Le Figaro" war es einem libanesischen Spezialisten gelungen, aus Millionen von Handydaten jene Geräte zu ermitteln, die im Februar 2005 sowie am Anschlagstag selber im unmittelbaren Umfeld von Hariri benutzt worden waren. Und über eines dieser Geräte führte die Spur auch zu einem Hisbollah-Kommandeur namens Hajj Salim. Dieser habe direkt an Nasrallah berichtet - und an den iranischen General Kassim Sulaimani, den Kommandeur der berüchtigten Al-Kuds-Brigaden, der Elite-Kampfeinheit der Revolutionären Garden. Der libanesische Spezialist, ein Polizeioffizier, wurde für diese brisante Entdeckung von der Hisbollah ermordet. "Das Tribunal ist offensichtlich zu einem Ergebnis gekommen, das ein Worst-Case-Szenario darstellt", hatte Paul Salem, Direktor des Carnegie Middle East Centre in Beirut, bereits im Sommer der "Financial Times" ahnungsvoll gesagt.

Die Spannungen steigen - und der für morgen erwartete Besuch des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad in dem von der Hisbollah beherrschten Südlibanon wird nicht gerade zur Deeskalation beitragen. Für den libanesischen Premierminister Saad Hariri - Sohn des Ermordeten - ist diese Visite eine blanke Provokation. Wie arabische Zeitungen meldeten, soll der syrische Präsident Bashar al-Assad noch vergeblich versucht haben, Ahmadinedschad von dieser Reise abzuhalten. Denn Assad ist im Gegensatz zu Ahmadinedschad nicht daran interessiert, dass an seiner unruhigen Südflanke erneut ein Bürgerkrieg ausbricht - womöglich gar unter Einbeziehung Israels. Zuletzt war es 2008 im Libanon zu Kämpfen zwischen der Hisbollah und Sunniten-Milizen mit mehr als 100 Toten gekommen.

Wie die in London erscheinende arabischsprachige Zeitung "Al-Quds al-Arabi" meldete, beabsichtigt Ahmadinedschad, bei seinem Besuch in der Grenzzone, einen Stein in Richtung der israelischen Soldaten zu werfen.