Timoschenko leidet unter einem Bandscheibenvorfall. Die 51-Jährige klagte zudem über Misshandlungen in der Haft und trat in einen Hungerstreik. Die Verfahren gegen sie bezeichnet sie als Schauprozesse.

Warschau/Berlin. Ein Gericht in der Ukraine hat den neuen Prozess gegen die im Gefängnis erkrankte Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko vertagt. Weitere Anhörungen seien in Abwesenheit Timoschenkos nicht möglich, sagte Richter Kostjantyn Sadowski am Samstag in Charkiw. Das Verfahren solle nun am 21. Mai fortgesetzt werden. Timoschenko leidet unter einem Bandscheibenvorfall. Die 51-Jährige klagte zudem über Misshandlungen in der Haft und trat in einen Hungerstreik. Die Verfahren gegen sie bezeichnet sie als Schauprozesse, um die Opposition mundtot zu machen. Sie wurde im vorigen Jahr wegen Amtsmissbrauchs in ihrer Regierungszeit verurteilt. Zudem wird ihr Steuerhinterziehung vorgeworfen. Die Bundesregierung bemüht sich um eine Ausreisegenehmigung, damit Timoschenko in Deutschland behandelt werden kann.

Hierzulande wurden wegen des Falls Forderungen unter anderem von SPD-Chef Sigmar Gabriel laut, dass Politiker die Spiele der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine boykottieren sollten.

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Der Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa, Michel Platini, verteidigte die Vergabe der EM an die Ukraine. Er sagte der "Welt": "Als die EM 2007 vergeben wurde, war Julia Timoschenko gerade dabei, an die Regierungsspitze aufzusteigen."

Da das Land keine organisierte politische Gewalt kennt, wagte sich zunächst kaum jemand mit Hypothesen hervor. Einen Zusammenhang zur EM sehen Ermittler nicht. Das Parlament trat zu einer Sondersitzung zusammen.

Timoschenko, die aus Dnipropetrowsk stammt, befand sich am Freitag den achten Tag im Hungerstreik, um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren. Vor einer Woche war sie unter Anwendung von Gewalt zur Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht worden. Verurteilt wurde sie wegen angeblichen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft. Am Sonnabend soll sie zu einem zweiten Prozess in ein Gerichtsgebäude gebracht werden. Der Umgang mit der Opposition und die gezielt eingesetzte Justiz sind das Haupthindernis bei der Annäherung der Ukraine an die EU.

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Eine Lösung könnte sein, dass Timoschenko von ausländischen und damit unabhängigen Ärzten behandelt wird. "Seien Sie ein humanitären Werten verpflichteter Präsident und lassen Sie Frau Timoschenko ausreisen", appellierte Professor Karl Max Einhäupl, Chef der Berliner Klinik Charité, an den ukrainischen Staatschef Viktor Janukowitsch. "Wir haben erhebliche Zweifel, dass eine Therapie der Patientin in der Ukraine erfolgreich durchzuführen ist." Einhäupl hält es für notwendig, mit Kollegen binnen sieben Tagen in die Ukraine zu reisen und den akuten Zustand Timoschenkos erneut zu überprüfen. "Sie ist jetzt auch unsere Patientin", sagte Einhäupl. "Frau Timoschenko hat uns gebeten, ihre Behandlung zu übernehmen. Sie hat auf uns einen sehr verzweifelten Eindruck gemacht." Anfang des Jahres hatte sich die Familie Timoschenkos an die Charité gewandt und gebeten, eine Delegation des renommierten Krankenhauses solle in die Ukraine reisen. Im Februar hatten die ukrainischen Behörden erstmals die Untersuchung durch ausländische Mediziner zugelassen. Auf Kosten der Familie war Einhäupl mit seinem Kollegen Norbert Haas, Chef der Orthopädie, in die Ukraine gereist und hatte einen Bandscheibenvorfall diagnostiziert, der nicht behandelt worden war.

Obwohl die frühere Ministerpräsidentin seit ihrer Inhaftierung Anfang Oktober über starke Rückenschmerzen geklagt hatte, war erst drei Monate später ein Kernspin-Gutachten erstellt worden, das den Bandscheibenvorfall bestätigte. "Ob das Vorenthalten einer Therapie eine gezielte Maßnahme war oder mangelnde diagnostische Sicherheit, dazu kann ich mich nicht äußern", sagte Einhäupl. Aber auch nach der Diagnose habe Timoschenko keine optimale Therapie erhalten habe.

Vor zwei Wochen hatten Einhäupl und Haas die Patientin erneut besucht und festgestellt, dass der Bandscheibenvorfall chronisch geworden ist. Außerdem hatten sie die Klinik in Charkow besucht, die die ukrainischen Behörden für eine Therapie vorgesehen hatten. Timoschenko habe die Sorge geäußert, man könne ihr durch Injektionen Schaden zufügen, weshalb sie sich kein Blut abnehmen lasse.

Ein Gericht verurteilte Timoschenko im Oktober 2011 zu einer siebenjährigen Haftstrafe. Ihr Gesundheitszustand ist zum Politikum geworden. Dass die Regierung ihrer Ausreise zustimmt, gilt als unwahrscheinlich.

Mit Material von Reuters