Ein gieriger Parteichef und der Gifttod eines Briten - im Politikkrimi zwischen Peking und Provinz am Jangtse-Fluss wurde sogar Zensur verschärft.

Peking. Seit fast zwei Monaten blickt China in einen Abgrund von Landesverrat, Mord, Verbrechen, Korruption. Die Hauptfigur dabei ist Spitzenfunktionär Bo Xilai. Seine Gattin Gu Kailai wurde nun verhaftet. Bo, der mächtige Parteichef der Metropole Chongqing, galt einst als sicherer Aufsteiger in den neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros, das mächtigste Gremium Chinas. Bo vermarktete sich als Volkstribun. Er ließ Bürger in Massenchören Kulturrevolutionslieder singen und brachte mit egalitären Parolen die Altlinke hinter sich. Als Sohn eines Ur-Revolutionärs knüpfte er Seilschaften mit anderen "Prinzlein", wie man die Nachkommen hoher Funktionäre der Kommunistischen Partei nennt, die heute Schaltstellen von Armee und Wirtschaft kontrollieren. Mit Industrieförderung holte er Weltkonzerne in die Stadt am Jangtse-Strom.

Sein politisches Ende wurde nun wie eine nationale Zäsur begangen: Funktionäre mussten am Dienstag nach Dienstschluss in ihren Ministerien oder Fabriken bleiben. Ihnen wurden die Entscheidungen der Parteispitze verlesen, Bo aus dem Politbüro und von allen anderen Parteipositionen auszuschließen. Der 62-Jährige stürzt als Bösewicht in einem spektakulären Politkrimi des Stadtstaates Chongqing ab, der mit 32 Millionen Einwohnern angeblich größten Metropole der Welt.

+++ Mehrjährige Haftstrafen gegen Bürgerrechtler verhängt +++

Bo wollte sie zu seinem Sprungbrett in die Pekinger Führung machen. Mittwoch früh erfuhr Chinas Bevölkerung die unappetitlichen Details seines Falls. Dem vom Ehrgeiz getriebenen Intriganten half seine Frau Gu Kailai. Die Ex-Anwältin, die, wie das amerikanische "Wall Street Journal" aufdeckte, in China, den USA und England eigene Büros unterhielt, steht unter dringendem Tatverdacht der Polizei, mithilfe eines Hausverwalters den Briten Neil Heywood vergiftet zu haben. Sie hatte sich mit dem Geschäftsfreund der Familie über Finanzfragen zerstritten.

Der 41 Jahre alte Heywood soll Geldtransfers und auch die Auslandsstudien von Bo Guagua arrangiert haben, dem Sohn des Spitzenkaders. Nach Heywoods Tod, vor allem aber als Bos Gefolgsmann Wang Lijun aus dem Spiel ausstieg, kam der Skandal ins Rollen. Bo hatte seinen Vertrauten Wang einst zum Polizeichef von Chongqing gemacht. Wang räumte auf: mit Antikriminalitätskampagnen und Dutzenden Todesurteilen. So verschaffte er seinem Chef Bo das Image eines Saubermanns. Doch als Wang merkte, dass Bo ihn abservieren wollte, suchte er am 6. Februar Zuflucht im US-Konsulat in Chengdu. Unmittelbar vor dem Amerika-Besuch von Chinas designiertem Parteichef Xi Jinping war das heikel. Washington wollte keine unnötige Krise und ließ Wang auflaufen. Der stellte sich den Pekinger Behörden und packte aus. Für einen Moment ging der Vorhang vor dem sonst verborgenen unerbittlichen Machtkampf auf.

Chinas Medien durften den Skandal um Bo nicht recherchieren. Als Blogger im Internet über die Machtkämpfe spekulierten, ordneten die Behörden eine massive Unterdrückungskampagne an. Die Internetzensur wurde gestern verschärft. Keiner der 3000 Abgeordneten im Volkskongress wagte, nach Aufklärung zu verlangen. Dennoch: Bo wurde als Parteichef von Chongqing abgesetzt. Sechs Monate vor dem 18. Parteitag, wo das seit zehn Jahren herrschende Tandem von Parteichef Hu Jintao und Premier Wen Jiabao einen harmonischen Übergang seiner Macht aufführen wollte, muss das Drehbuch neu geschrieben werden.