Radikale Islamisten und Tuareg übernehmen die Macht im Norden. Nachbarstaaten und USA verhängen Sanktionen gegen Putschisten.

Paris/New York. Den Putschisten in Mali gerät die Lage zunehmend außer Kontrolle. Die Militärjunta erwägt, den gestürzten Präsidenten Amadou Toumani Touré wegen Hochverrats und Veruntreuung anzuklagen. Die Macht an eine demokratisch gewählte Regierung abzugeben, wie sie dies zuvor mehrmals angekündigt hatte, lehnt sie nun ab. Die Nachbarstaaten haben wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen gegen Mali verhängt, um die Aufständischen dazu zu bewegen, die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Auch die USA haben Sanktionen gegen die Führer des Militärputsches verhängt.

+++Malischer Putschistenführer setzt Verfassung wieder in Kraft+++

Meuternde Soldaten hatten vor knapp zwei Wochen die Macht im Land an sich gerissen. Die Putschisten und ihr Anführer, Kapitän Amadou Sanogo, hatten den Staatsstreich ursprünglich damit begründet, dass die Regierung unfähig gewesen sei, die Tuareg-Rebellion im Norden des Landes unter Kontrolle zu bringen. Den Putschisten selbst gelingt das jedoch noch viel weniger. Im Gegenteil: Tuareg-Rebellen und dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehende Islamisten würden nahezu den gesamten Norden kontrollieren, sagte Uno-Unterstaatssekretär Lynn Pascoe in New York. Eine islamistische Gruppe, die gemeinsam mit Tuareg-Rebellen für die Unabhängigkeit von Nord-Mali kämpft, will in der historischen Stadt Timbuktu die islamische Rechtsprechung Scharia einführen. Einwohner sagten, die Gruppe habe Radiostationen aufgefordert, keine internationale Musik mehr zu spielen. Zudem sollten Frauen keine Hosen, sondern nur noch Röcke und Kleider tragen. 90 000 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerweile auf der Flucht. Menschen stehen vor Banken und Tankstellen Schlange.

Frankreich forderte ein entschlossenes Auftreten der internationalen Gemeinschaft gegenüber der "islamistischen Gefahr" und sprach sich für eine neue Erklärung des Uno-Sicherheitsrats aus. "Manche Rebellen könnten sich mit der Kontrolle über die Gebiete im Norden zufriedengeben. Andere könnten zusammen mit der al-Qaida im islamischen Maghreb eine Eroberung aller Gebiete Malis planen, um dort eine islamistische Republik zu errichten", sagte Außenminister Alain Juppé. Die derzeit Timbuktu kontrollierende Gruppe Ansar Dine sei eng mit dem nordafrikanischen Ableger der Terrororganisation verknüpft.

Nach den Worten des amtierenden deutschen Uno-Botschafters Miguel Berger ist die Spaltung des Landes "eine sehr reale Gefahr". Vor allem das Risiko, dass al-Qaida nahestehende Gruppen Teile Malis kontrollierten, gebe Anlass zur Sorge. Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen zeigte sich höchst besorgt über die möglichen Auswirkungen der Kämpfe auf Timbuktu, das zum Weltkulturerbe zählt. Die unter Schutz stehenden Moscheen, Mausoleen und Friedhöfe müssten unter allen Umständen erhalten bleiben, ließ Unesco-Chefin Irina Bokowa in Paris mitteilen.

Die Rebellen hatten am vergangenen Wochenende zunächst die Städte Gao und Kidal eingenommen und waren dann in Timbuktu eingedrungen. In 60 privaten Bibliotheken beherbergt die Stadt die größte Handschriftensammlung Westafrikas. Viele Manuskripte sind bis heute nicht digitalisiert. Es kam zu schweren Plünderungen in der Stadt.

Die Gruppe Ansar Dine kämpft gemeinsam mit Tuareg-Rebellen der MNLA (Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad) für eine Abspaltung des Nordens. Das Gebiet, das die Rebellen für sich beanspruchen, reicht von den Grenzen zu Algerien und Niger bis zum Fluss Niger, der außerhalb von Timbuktu verläuft.

Unterdessen wurde auch das SOS-Kinderdorf Socoura in der Stadt Mopti evakuiert. Die 140 Kinder und Mütter, die dort lebten, seien auf die beiden im Süden Malis liegenden SOS-Kinderdörfer aufgeteilt worden, teilte die Organisation in München mit. "Da Mopti eine strategisch wichtige Hafenstadt am Niger in der Mitte Malis ist, wird befürchtet, dass auch diese Stadt ins Visier der Rebellen gerät", heißt es in der Mitteilung.

Das Auswärtige Amt hat allen deutschen Staatsbürgern in Mali dringend geraten, das Land sofort zu verlassen. Die umfassenden Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrssanktionen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) können nach Einschätzung des Ministeriums in wenigen Tagen zu empfindlicher Knappheit bei Nahrungsmitteln und Brennstoffen führen.

Als Folge des Putsches könnten sich nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes zudem soziale Spannungen drastisch verschärfen und schwer zu kontrollierende Unruhen ausbrechen. Nach der angekündigten Schließung der Grenzen durch die Nachbarstaaten sei unklar, ob und wie lange der internationale Flughafen in Bamako seinen Betrieb aufrechterhalten könne. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) äußerte unterdessen die Hoffnung auf ein schnelles Ende der Kampfhandlungen in dem westafrikanischen Staat.