Beobachter sprechen von Manipulationen bei der Präsidentenwahl in Russland. Doch gewonnen hätte Favorit Wladimir Putin wohl ohnehin.

Hamburg/Moskau. Also weiter wie bisher. Vielleicht ist es dieser Satz, der die Situation in Russland am Tag nach der Wahl am besten beschreibt. Weiter wie bisher - mit einem Präsidenten Wladimir Putin, der nach 2000 bis 2008 nun vor seiner dritten Amtszeit im Kreml steht. Und weiter mit Protesten gegen Putin und seiner Unterdrückung der Opposition. Weiter mit den Verhaftungen von Demonstranten. Nach Angaben der Opposition sind gestern Abend mindestens 100 Regierungsgegner festgenommen worden. Sicherheitskräfte hätten auch den Skandalautor Eduard Limonow und den rechtsextremen Anführer Dmitri Djomuschkin bei der nicht genehmigten Kundgebung vor dem Gebäude des Inlandsgeheimdienstes FSB abgeführt.

Auch in der zweitgrößten Stadt St. Petersburg gab es mindestens 70 Festnahmen. Auf einem anderen Platz im Moskauer Stadtzentrum demonstrierten nach Behördenangaben mehr als 14 000 Menschen friedlich gegen das von Fälschungsvorwürfen überschattete Ergebnis der Präsidentenwahl vom Vortag. Viele trugen bei der genehmigten Kundgebung Bänder im Weiß der Oppositionsbewegung. Mehr als 12 000 Polizisten und Soldaten waren allein in Moskau im Einsatz.

+++ Putin feiert seinen Sieg: "So wie es alle gewollt haben" +++

Und Putin? Er sorgte sich vor allem um sein Image. "Es war der kalte Wind", erklärte Putin gestern sein tränenfeuchtes Gesicht nach gewonnener Wahl. Millionen Menschen im In- und Ausland hatten sich darüber gewundert, dass der um sein Macho-Image bemühte Staatschef während der Rede an seine Anhänger in Tränen ausgebrochen sein sollte.

Die Zentrale Wahlkommission hatte Putin gestern zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der Chef der Kommission sagte in Moskau, Putin habe 63,75 Prozent der Stimmen erreicht.

Westliche Beobachter halten diese Zahl für übertrieben. Unbestritten ist aber Putins Sieg. Die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Golos schätzt, dass Putin auch ohne Manipulationen auf echte rund 50 Prozent gekommen wäre. Allerdings hatte er die demokratische Opposition bereits im Vorfeld effektiv behindert und weitgehend ausgeschaltet. In Tschetschenien, das von dem pro-russischen Republikchef Ramsan Kadyrow autokratisch beherrscht wird, stimmten angeblich sogar 99,76 Prozent der Wähler für Putin - ein Wert wie aus alten Sowjetzeiten.

+++ Der Präsident bestimmt die Politik +++

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nannte die Wahlen "unfair". Ihre Beobachter hätten "ernsthafte Probleme" festgestellt, erklärte Missionschef Tonino Picula in Moskau. Es habe keinen echten Wettbewerb gegeben, da der Sieg Putins durch den Missbrauch staatlicher Mittel sichergestellt worden sei. Die EU und Bundesaußenminister Guido Westerwelle riefen die russische Regierung dazu auf, die Vorwürfe aufzuklären. Auch Staatsminister Michael Link (beide FDP) nannte die Kritik der internationalen Beobachter "ernst". Noch ernster sei die Unzufriedenheit eines großen Teils der russischen Gesellschaft mit einem System mit autoritären Zügen, sagte Link dem Hamburger Abendblatt.

"Die ersten Einschätzungen internationaler Wahlbeobachter zeigen: Russland hat auf dem Weg zu wirklich freien und fairen Wahlen noch viel Arbeit vor sich." Es sei aber gut, dass der designierte Präsident Putin angekündigt hat, "der Kritik der Wahlbeobachter nachzugehen". Wenn Putin Russland wirklich reformieren wolle, müsse er mehr Rechtsstaat zulassen und mehr Demokratie wagen, hob Link hervor. Putin hingegen sagte: "Wir haben in einem offenen und ehrlichen Kampf gewonnen." Er ist mit dieser Aussage - zumindest international - ziemlich allein. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), sprach von einem Rückfall Russlands "in alte Muster". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte Putin zu weiteren Reformen auf, bot ihm aber gleichzeitig den Ausbau der "strategischen Partnerschaft" beider Staaten an.

+++ Die neuen Feindbilder von Wladimir Putin +++

Deutsche Wahlbeobachter konnten ungeachtet aller Manipulationsvorwürfe aber keinen organisierten Wahlbetrug feststellen. Und der Russland-Experte vom Hamburger WeltWirtschaftsInstitut, Joachim Zweynert, warnte davor, Russland auf die medienwirksamen Proteste in den Metropolen Moskau oder St. Petersburg zu reduzieren. "In der riesigen ländlichen Region ist die Zustimmung für Putin groß", sagte Zweynert dem Abendblatt. Russland sei ein Musterbeispiel für ein Land, das einen nachholenden Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft vollzogen habe. Hier sieht er Parallelen zur Türkei. "Dieser Prozess führte traditionell zu einer Abwanderung der Intelligenz, aber auch der ambitionierten jungen Menschen aus den Regionen in die Metropolen in Moskau." Doch gerade sie seien Träger der Demokratisierung. Was in den Regionen bleibe, sei die Hörigkeit gegenüber der Stabilität, für die Putin stehe. Um einen politischen Wandel zu erreichen, müsse die Demokratiebewegung ihre Ideen auch in die Regionen tragen, sagte Zweynert. Bisher funktioniere das in Anfängen schon sehr gut - wie zum Beispiel beim kleinen unabhängigen Fernsehsender Doschd, der regimekritische Berichte auch in den Regionen ausstrahle.