In Russland gewinnt der 59-Jährige mit klarer Mehrheit die Wahl zum Präsidenten. Gegner werfen ihm Betrug vor und kündigen Proteste an.

Moskau/Hamburg. Der russische Regierungschef Wladimir Putin hat die Präsidentenwahl nach Angaben der Wahlkommission in Moskau mit 63,78 Prozent der Stimmen gewonnen. Das teilte die Behörde am Montag nach Auszählung von fast 100 Prozent der Wahlzettel mit. Auf Platz zwei lag Kommunistenchef Gennadi Sjuganow mit 17,19 Prozent der Stimmen. Die übrigen drei Kandidaten landeten nach offiziellen Angaben jeweils deutlich unter zehn Prozent der Stimmen.

Die gelenkte Demokratie von Putin funktioniert. Bis zum Schluss. Schon als die ersten Prognosen am Sonntag einen klaren Wahlsieg des Präsidentschaftskandidaten signalisieren, schwenken Menschen im Zentrum von Moskau Fahnen, sie halten Schilder in die Luft: "Mein Präsident heißt Putin". Mehr als 100.000 sind gekommen. Auf dem Manegenplatz nahe dem Kreml beginnt am Abend ein Konzert. Alles ist organisiert, bestens vorbereitet. Bereits in den Stunden davor hatten Busse Hunderte Demonstranten aus verschiedenen Regionen nach Moskau gekarrt. Pro-Putin-Anhänger, wohlgemerkt. Die zentralen Plätze waren mit Fahrzeugen von Armee und Polizei besetzt, um Proteste gegen Putin im Keim zu ersticken.

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Und als alles angerichtet ist, zeigt sich Russlands mächtigster Politiker der Menge. Unter dem Jubel seiner Anhänger und mit Tränen in den Augen erklärt er sich zum Sieger der russischen Präsidentenwahl. "Wir haben in einem offenen und ehrlichen Kampf gewonnen", ruft er den Menschen zu. "Ich habe versprochen, dass wir gewinnen werden, und wir haben gewonnen!" Damit wird Putin zum dritten Mal seit 2000 und 2004 in das mächtigste Amt in Russland gewählt. Überrascht hat das kaum jemanden.

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Auch Putins Gegner nicht. Sie werfen dem russischen Staat Betrug vor und kündigten bereits Demonstrationen für faire Wahlen an. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zählte allein bis zum Nachmittag mehr als 2000 Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung in 90.000 Wahllokalen. Allein in Moskau waren nach Angaben der lokalen Wahlkommission etwa 11.000 Beobachter in 3400 Wahllokalen unterwegs. Darunter auch die Juristin Olga Besperstowa und Finanzfachmann Walentin Preobraschenski. Aus der Zentrale erhalten Olga und Walentin Anrufe über Probleme in den Wahllokalen in ihrem Bezirk. Olga soll als Juristin zur Seite stehen, Walentin - mit seinem Smartphone - die Fälschungen filmen.

Um kurz nach 9 Uhr klingelt das Telefon, nicht zum ersten Mal an diesem Morgen. Beobachter im Moskauer Wahllokal Nr. 136 haben einen Verdacht auf ein "Karussell" gemeldet. Als beide dort eintreffen, sehen sie eine Schlange von Wählern mit Abmeldungszetteln. Die meisten von ihnen sind Männer mittleren Alters, umweht von einer Alkoholfahne. "Eine Gruppe von 50 Menschen ist hier auf einmal aufgetaucht", erzählt Wahlbeobachter Alexei. "Als wäre sie organisiert hierhergebracht worden." Alarmmeldungen wie diese laufen gestern ohne Unterbrechung bei Twitter und Facebook oder im Live-Ticker der Internetmedien. So werden am Kiewer Bahnhof sechs Busse gesehen, die Einwohner aus Dörfern nahe Moskau in die Stadt bringen. Die Passagiere erzählen, sie hätten bereits zu Hause gewählt und sollten nun zum zweiten Mal in Moskau abstimmen.

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"Das wird keine ehrliche Wahl, aber wir dürfen nicht nachgeben", sagte Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der Sowjetunion, bei der Stimmabgabe. Ehrliche Wahlen seien das Motto für die kommenden Jahre, sagte der Friedensnobelpreisträger von 1990, der sich zuletzt kritisch über Putin geäußert hatte. Michail Kasjanow, der dem Präsidentschaftskandidaten Putin einst als Ministerpräsident diente und später in die Opposition ging, sagte: "Diese Wahlen sind nicht frei. Wir werden den Präsidenten nicht als legitim anerkennen."

Auch die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Golos, die Oppositionspartei Jabloko und die neue Liga der Wähler beklagten Wahlfälschungen. Zwar seien es weniger als bei den Parlamentswahlen im Dezember. Das liege aber auch daran, dass die Methoden diesmal ausgeklügelter seien, sagte der Vize-Golos-Direktor Grigori Melkonjanz. Die Protestbewegung will heute gegen Putin demonstrieren. Einer der Organisatoren, Sergej Udalzow, sagte, eine ehrliche Wahl hätte Putin nicht bereits im ersten Wahlgang gewinnen können. "Schmutzige Technologien wurden abgewandt, und sie sind raffinierter geworden", sagte er. Zudem lagen Berichte über fragwürdige Wählerlisten und nicht funktionierende Webcams vor. Seit der umstrittenen Parlamentswahl im Dezember wurden die mehr als 90 000 Wahllokale in Russland mit Webcams ausgestattet.

Doch Kritik an Putin kommt nicht nur von der russischen Opposition, sondern auch aus Deutschland. Die Bundesregierung müsse zwar mit einem Präsidenten Putin zusammenarbeiten, sagte der Menschenrechtsexperte der Grünen, Volker Beck, dem Abendblatt. "Dennoch muss die schwarz-gelbe Bundesregierung jetzt deutlich faire und freie Wahlen für Russland fordern." Die Regierung solle auf Gratulationen für Putin und jede Geste der Anerkennung des undemokratischen Wahlvorgangs verzichten. Beck zeigte sich besorgt, dass nun eine harte Repressionswelle gegen die Demokratiebewegung folge. Er rechne mit Verhaftungen und Denunziation von Demokraten als Helfershelfer von Terroristen. Russland-Experte Joachim Zweynert vom Hamburger WeltWirtschaftsInstitut sieht in dem Wahlergebnis vor allem eine Zementierung der "gelenkten Demokratie" durch Putin. Dennoch hätten die Proteste vor den Wahlen und die starke Beobachtung der Wahlen gezeigt, dass die russische Zivilgesellschaft erwacht ist. Vielleicht, sagt Zweynert, schaffe sie einen demokratischen Wandel - in zehn bis 15 Jahren.