Der neue Präsident müsste Russland weiter reformieren - aber darauf deutet noch nichts hin

Wahltouristen, die im "Karussellverfahren" per Bus von einem Lokal zum nächsten gefahren werden, manipulierte Unterlagen, defekte Webcams - von westlichen Demokratiemaßstäben war die Präsidentenwahl in Russland so weit entfernt, wie die Listen mit Beschwerden der Wahlbeobachter lang sind. Einmal ganz von der willkürlichen Kandidatenzulassung, der Medien-Allmacht und der seit Generationen im Riesenreich erprobten Schikanierung der Opposition abgesehen.

Nur eines kann auch ein Wladimir Putin trotz aller Lenkungsversuche nicht mehr: sich von der Wahlleitung einfach ein Traumergebnis von 98,9 Prozent attestieren lassen. Knapp mehr als 60 Prozent müssen genügen. Zu stark angewachsen ist mittlerweile die bürgerliche Mittelschicht, die außer materiellen Wohlstand auch demokratische Teilhabe begehrt. Unkontrollierbar für den Kreml sind die neuen Online-Medien, mit deren Hilfe sich Menschen organisieren und informieren können. Und schließlich gilt es, auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft zumindest den Anschein demokratischer Gepflogenheiten und damit auch das eigene Gesicht zu wahren.

Stabilität und die zumindest teilweise Rückkehr zu alter imperialer Größe waren die Ziele, mit denen Wladimir Putin im Jahr 2000 antrat, als er das erste Mal in den Kreml einzog. Gemessen am Zustand seines Landes nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den chaotischen Jelzin-Jahren hat er auf diesen Gebieten einiges erreicht. Nur den eigenen Bürgern und den ausländischen Investoren genügt das längst nicht mehr. Eine undurchsichtige Bürokratie, Willkür und Korruption machen dem einen wie dem anderen zu schaffen. Wenn Putin aus seinem potenziell so reichen Land mehr als einen Rohstofflieferanten machen will, wenn Russland außer Öl, Gas und Waffen auch am Wettbewerb mit modernen Industrie- und Technologieprodukten teilhaben soll, bedarf es eines weiteren Modernisierungsschubes - in wirtschaftlicher wie auch in politischer Hinsicht.

Das wird mit den Methoden, derer sich Putin bisher bediente, nicht zu schaffen sein. Mit dem Handwerkszeug des KGB lässt sich eine wirklich offene Gesellschaft, die auch die Voraussetzung für eine funktionierende Verwaltung und effektivere Wirtschaft ist, nicht kreieren. Und solange die oppositionellen Kräfte mit allen erdenklichen Mitteln und Methoden daran gehindert werden, sich zu organisieren und öffentlich wirksam zu werden, ist auch kein demokratischer Wettbewerb denkbar.

Macht Putin weiter, wie es die Welt bisher von ihm gewohnt ist, werden sich die Strukturen aus undurchsichtigen Machtzirkeln, korrupten Beamten und superreichen Oligarchen verfestigen. Den Bürgern droht eine Phase der Stagnation wie zuletzt unter dem roten Zaren Breschnew - nur mit deutlich mehr Wohlstand zumindest für einen wachsenden Teil der Bevölkerung. Außenpolitisch dürfte die Distanz zu Europa und den USA bestehen bleiben oder gar wachsen, während mehr Gemeinsamkeiten mit China und all jenen gesucht werden, die dem Westen ebenfalls skeptisch gegenüberstehen.

Es wird sich schon bald abzeichnen, ob die kommende Amtsperiode sechs verlorene Jahre für Russland werden oder ob Putin den Mut aufbringt zu riskieren, Opfer seines eigenen Erfolges zu werden. Nämlich dann, wenn er es schafft, sein Land politisch so weit zu reformieren, dass er bei der nächsten Wahl mit einer manipulationsfreien Niederlage gegen den Kandidaten einer unbehindert arbeitenden und gut organisierten Opposition rechnen muss. Einen größeren Dienst könnte er Russland nicht erweisen. Bisher deutet allerdings nicht viel auf einen derartigen Sinneswandel des wiedergekehrten Präsidenten hin.