Internationale Medien blicken mit Sorge auf die jüngsten ägyptischen Unruhen. Polizeiwache auf Sinai mit Panzerfäusten angegriffen.

Kairo/Moskau. Die Welle der Gewalt in Ägypten rollt auch am Freitag weiter. In der Nacht griffen Unbekannte auf der Halbinsel Sinai eine Polizeiwache mit Panzerfäusten, automatischen Waffen und schultergestützten Flugabwehrraketen an. Das verlautete aus Sicherheitskreisen.

Zu möglichen Opfern lagen am Morgen noch keine Angaben vor. Bewohner der Region vermuteten, dass es sich um einen Racheakt handele. Denn am vergangenen Mittwoch waren an einer Straßensperre in dem Bezirk Nachel, in dem die Polizeistation liegt, zwei junge Männer erschossen worden.

+++ Leitartikel: Generäle im Zwielicht +++

In Kairo sind für Freitagnachmittag Protestaktionen gegen den Militärrat geplant. Aktivisten machen die Militärs unter anderem für den Tod von 74 Menschen im Fußballstadion der Stadt Port Said am Mittwochnachmittag verantwortlich. Sie vermuten, dass die Krawalle auf dem Spielfeld von bezahlten Schlägertrupps provoziert wurden, um Chaos zu schaffen. Der Polizei, die bei dem Spiel für Ordnung hätte sorgen sollen, werfen sie Untätigkeit vor.

+++ Info: Schlechte Stadien, überforderte Polizei +++

Ägyptische Kommentatoren haben in den vergangenen Tagen jedoch darauf hingewiesen, dass die Polizei, die während ihres brutalen Vorgehens bei den Massenprotesten gegen den Langzeitpräsidenten Husni Mubarak vor einem Jahr heftig kritisiert worden war, verunsichert sei. Die Polizisten wüssten nicht mehr, was von ihnen erwartet werde.

+++ Bürgerkrieg im Fußballstadion +++

Mit Sorge und Kritik blickt die internationale Presse auf die jüngsten Unruhen in Ägypten. Hier ein Auszug aus den Pressestimmen:

Tageszeitung "Iswestija“ (Moskau) : Es brodelt in Ägypten. Fast scheint es, als habe ein böser Flaschengeist das Land in seiner Macht. Doch diesmal kam die Gewalt nicht im Namen der Freiheit und der fairen Wahlen, sondern wegen eines Fußballspiels. War das vielleicht nur ein 'Spaß gewaltbereiter Fans'? Oder war es „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln„? Muss man bei einer Revolution nicht zwangsläufig mit Gewalt rechnen? Natürlich könnte man sagen, dass es bloß eine Schlacht unter Zuschauern war. Doch in Wirklichkeit ist der Sport längst zum Spielfeld für den politischen Kampf geworden. Nicht nur in Ägypten.

Linksliberale Tageszeitung "La Repubblica“ (Rom): Es sollte gezeigt werden, dass ein Abgang der ägyptischen Militärs ins Chaos führen könnte. Der wirkliche Einsatz, um den es hier geht, sind die Präsidentenwahlen im Juni. Diejenigen Kräfte, die entschlossen jenen den Weg versperren wollen, die eine Beschneidung der Macht des Militärs befürworten, setzen auf diese Abstimmung, um das entscheidende Spiel zu spielen. Man darf nicht vergessen, dass Ägypten in Erwartung einer neuen Verfassung eine Präsidialrepublik bleibt. Und ein den Militärs nahe stehender Kandidat, der sich als der Damm gegen Chaos und Instabilität präsentiert, könnte gute Chancen haben, sollte sich die öffentliche Ordnung weiterhin als ein Problem erweisen. (...). Port Said könnte so nur ein Vorspiel weiterer, noch blutigerer Spektakel sein.

"Neue Zürcher Zeitung“: Die Militärs haben es versäumt, die Polizei zu reformieren, obwohl deren Gewalt doch der eigentliche Auslöser des Aufstandes war. Dass die Generäle diese Woche ihren Zuständigen für die Medien entlassen haben, zeugt von einem fundamentalen Unverständnis der Lage. Anscheinend glauben sie, mit einer besseren Informationspolitik sei das Problem gelöst. Ihnen ist nicht klar, dass der gegenwärtige Zustand des Sicherheitsapparats ein Kernproblem ist. Dass sie bei den jüngsten Ausschreitungen eine aktive Rolle spielten, darf bezweifelt werden. Da sie aber bisher keinen Finger gerührt haben, um die Reform der Polizei einzuleiten, sind sie unmittelbar verantwortlich für die Tragödie von Port Said.

Linksliberale Zeitung "Libération“ (Paris): In Ägypten hat das Drama von Port Said wenig zu tun mit den tödlichen Auswüchsen rivalisierender Fußball-Fans und sehr viel mit dieser Unsicherheit, in der das Land nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung steckt. Eine Zeit lang hat man an einen faustischen Pakt geglaubt. Der Armee kommt das Recht der Herrschaft und der Verteilung wirtschaftlicher Vorrechte zu, der Muslimbruderschaft die Betreuung der Gesellschaft. Beide Gruppen sind aufeinander angewiesen. Doch heute besteht nicht genug Vertrauen zwischen beiden und das Kräfteverhältnis wird zu einer Kraftprobe. Optimisten glauben langfristig an einen Ausgleich und setzen darauf, dass die Ägypter sich ein neues Schicksal erfinden können. Doch auf diesem Weg sind noch zahlreiche Hindernisse zu überwinden.

Mit Material von dpa