Im Laufe der Geschichte waren Revolutionen zumeist durch die oft gewaltsame Ablösung einer staatlichen Ordnung gekennzeichnet, die dann durch ein neues politisches System ersetzt wurde. In Ägypten, dem volkreichsten und bedeutendsten arabischen Staat, verhält sich dies jedoch anders. Zwar wurde vor einem knappen Jahr der fast drei Jahrzehnte autoritär herrschende Präsident und Luftwaffengeneral Husni Mubarak vom Volkszorn aus dem Amt gefegt. Doch die tragende Säule des Mubarak-Systems blieb nahezu unangetastet; noch immer hält Ägyptens übermächtiges Militär alle Fäden in der Hand.

Von Demokratie, gestärkten Frauenrechten, politischer Toleranz, Meinungsfreiheit und sozialem Ausgleich ist kaum noch die Rede. Die hartleibigen Generäle unter Mubaraks ehemaligem Verteidigungsminister Tantawi und die Sieger der Wahlen, die radikalislamischen Muslimbrüder, verbindet eine ungemütliche Notgemeinschaft.

Bislang ist keines jener sozialen und politischen Probleme Ägyptens, die zum Sturz des "Pharaos" geführt hatten, auch nur ansatzweise einer Lösung zugeführt worden. Im Gegenteil - die Zerrissenheit der 85 Millionen Ägypter zwischen alten Seilschaften Mubaraks, dem Militärrat, den Muslimbrüdern, Arm und Reich sowie allerlei ethnischen und religiösen Gruppen hat zu einem gefährlichen Sicherheits-Vakuum geführt. Enttäuschung und Wut liegen wie Mehltau über dem Land am Nil.

Wenn die hochgepeitschten Emotionen von Fußballfans vor dieser explosiven Gemengelage außer Kontrolle geraten, wenn gar die Anhänger zweier traditionell rivalisierender Topteams aufeinandertreffen, ist eine Eskalation schon gut vorstellbar.

Doch die Tragödie von Port Said mit 71 Toten und 1000 Verletzten weist in Ausmaß und Umständen einige beunruhigende Merkwürdigkeiten auf. So sollen sich der Gouverneur und andere Spitzenpolitiker der Region, die sonst keine Spielminute verpassen, frühzeitig empfohlen haben oder gar nicht erst erschienen sein. Die Anhänger des Teams al-Masry stürmten bereits Sekunden nach dem Schlusspfiff hochaggressiv auf ihre Gegner los - obwohl sie doch gewonnen hatten und in Siegerlaune sein sollten. Die Polizei, sofern zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch im Stadion, sah der tödlichen Menschenjagd auf dem Rasen tatenlos zu, einige Beamte filmten das Drama offenbar mit ihren Handys. Die Ausgänge des Stadions waren nach Augenzeugenberichten verbarrikadiert, das Licht in den Tunneln ausgeschaltet. Bemerkenswert ist ferner, dass die Opfer des Angriffs, die Fans des Teams al-Ahly, zu den emsigsten Triebkräften des Umsturzes gehört hatten.

Verschwörungstheorien und Schuldzuweisungen vergiften nun zusätzlich die politische Atmosphäre. Bewiesen worden ist bislang noch nichts - fest steht aber immerhin, dass die Generäle, die bis Juni ihre Macht an einen gewählten Präsidenten abgeben sollen, von dem Desaster profitieren.

Vor dem Hintergrund der blutigen Krawalle und des erbärmlichen Zustands, in dem sich der zivile Sicherheitsapparat Ägyptens inzwischen befindet, können sie sich nun als die einzige Kraft im Lande empfehlen, die stark genug ist, sich dem Chaos entgegenzustemmen.

Noch einige weitere Vorfälle dieser Art - schon brannte in Kairo ein Stadion - und der Militärrat könnte sich "aus Sicherheitsgründen gezwungen sehen", die Geschicke Ägyptens noch eine Weile weiter zu lenken.