Islamisten, radikalen Hindus und autoritären Regimes sind Christen ein Dorn im Auge. Oft rettet nur Flucht vor Mord und Verfolgung.

Hamburg. Harjit Singhs Albtraum begann mit einer Ohrfeige von seiner Mutter. Es war der Moment, in dem er seiner Familie erzählte, dass er Christ werden wolle und eine Christin heiraten werde. In einer orthodoxen Kirche, mit Gottesdienst und Gebet. Weil seine Familie streng an die Religion der Sikhs glaubt, trafen Singhs Worte wie vergiftete Stacheln die Ohren seiner Mutter. Sie schwieg verbittert, als Singhs Schwager ihn ins Schlafzimmer zerrte, die Tür schloss und drohte, ihm die Beine und Arme zu brechen, wenn er seine Religion verrate.

Das war im Sommer 2008 und Singh gerade 25 Jahre alt. Ein knappes Jahr lang wurde er Gefangener seiner eigenen Familie. Die Mutter nahm ihm seinen Pass ab, er durfte das Haus in seiner nordindischen Heimatregion Punjab nicht verlassen. "Meine Familie wurde zu meinem ärgsten Feind", sagt Singh. Sein Name ist geändert, seine Geschichte ist echt. Und wenn er sie erzählt, gibt es Momente, in denen er seine Tränen unterdrücken muss.

In seiner Heimat Indien stehen Christen meist am unteren Ende des hinduistischen Kastensystems. Sie gehören zu den Dalits, den "Unberührbaren". Läuft es harmlos, werden sie nur missachtet - in den Restaurants, in den Familien. Doch radikale Hindus überfallen Kirchen und Geschäfte von Christen. Laut der Evangelischen Allianz Indien (EFI) gab es 152 Angriffe auf Christen in 2009. "Die Polizei ist hilflos", sagt Singh. "Manchmal duldet sie die Gewalt sogar."

Was Harjit Singh erlebt hat, trifft Christen in aller Welt. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat erklärt, keine Glaubensgemeinschaft sei stärker verfolgt als das Christentum. Glaubt man dem christlichen Hilfswerk Open Doors, dann sind von weltweit 2,2 Milliarden Christen 100 Millionen bedroht.

Nicht nur in Indien sind sie Ziel von Ausgrenzung und Übergriffen - auch im Iran, in Ägypten, in China, Saudi-Arabien, im Jemen, in Nigeria, auf den Malediven oder in Afghanistan. Christenverfolgung ist keine Eigenart fanatischer Islamisten oder Hindus. Auf dem "Weltverfolgungsindex" von Open Doors steht Nordkorea seit Jahren an oberster Position. Der stalinistische Staat ist eine letzte grausame Erinnerung an die systematische Christenverfolgung der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Auch die kommunistischen Herrscher im chinesischen Peking verfolgen alle, die den Allmachtsanspruch der Partei infrage stellen.

Im Norden des Irak wiederum hetzen sunnitische Extremisten gegen Andersgläubige. Ende Februar starben dort mindestens sechs Christen in einer Mordserie innerhalb von sieben Tagen. Meistens sind es fremde Täter, die in die Stadt kommen und Hass verbreiten. Viele vermuten das Terrornetzwerk al-Qaida hinter der Gewalt. Viele werden vertrieben - manche sogar von den eigenen Nachbarn oder Vermietern. Von 1,4 Millionen Christen im Irak Ende der 1980er-Jahre leben jetzt noch knapp 400 000 dort. Europa versprach im vergangenen Jahr, 10 000 Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. Etwa die Hälfte von ihnen sind Christen, 38 kamen nach Hamburg.

Einer von ihnen ist Faruk A. Und weil er für die Gewalt wenige Worte auf Englisch findet, sagt er nur: "Es hat Boom gemacht, viele Male. Boom. Boom." Wenn seine damals zehn Jahre alte Tochter zur Schule ging. Oder wenn A. auf dem Weg war zu seinem Geschäft für Bürotechnik im Zentrum von Bagdad. Den Gottesdienst seiner syrisch-orthodoxen Gemeinde besuchte die Familie selten. "Vor allem an Ostern und Weihnachten war das Risiko von Anschlägen auf Kirchen groß", erzählt er. Dass auch A. seinen Namen nicht verraten möchte, zeigt die Unsicherheit, die der Terror im Irak bei ihm hinterlassen hat.

Nach Jahren der Anschläge verstummte seine Hoffnung auf ein Leben mit einem sicheren Arbeitsweg. Er, seine Frau, die Tochter und der Sohn flohen nach Jordanien, vor acht Monaten kamen sie mit einem Transport der Uno nach Deutschland. Seitdem leben sie in einem Wohnheim für Flüchtlinge im Norden Hamburgs. Zwei Zimmer, eine Kochnische mit Herdplatten und Waschbecken. Oft hört A. Schreie aus den Nachbarzimmern, manchmal dringt ein Hämmern durch die dünnen Wände. Sein Leben ist jetzt sicher vor Bomben. Glücklich ist A. nicht.

Auch Harjit Singh konnte aus Indien fliehen. Ein Freund besorgte ihm einen Pass, seine Verlobte schickte Geld für Flugtickets nach Deutschland. In Hamburg traf er seine Verlobte wieder. Was mit Notlügen begann, endet für Singh mit der Flucht vor seiner Familie. "Ich werde nie zurückkehren können", sagt er.

Freiheit findet Singh auch in Deutschland nicht - und die Angst bleibt, dass seine Familie ihn auch hier finden wird. Deshalb kennt diese Geschichte auch niemand - außer seiner Verlobten und dem Anwalt, der vor Gericht für Singhs Asyl in Deutschland kämpft. Im Moment lebt Singh in einem Flüchtlingsheim nahe Münster. Nur manchmal darf er seine Verlobte in Hamburg besuchen. Auch sie kam erst vor einem knappen Jahr aus Rumänien nach Deutschland.

Die Unterdrückung durch seine Familie habe ihn krank gemacht. Aber Gott, sagt Harjit Singh, werde seiner Verlobten und ihm Kraft geben. Er werde ihnen helfen, das auszuhalten. Sonntag will Singh wieder in die Kirche gehen und für sie beide beten.