Dialog der Religionen: Hamburger Imam, die Bischöfin und der Erzbischof beim Abendblatt. Warum sollten Christen Ungläubige sein? Warum gibt es in Arabien keine Religionsfreiheit?

ABENDBLATT: Frau Bischöfin, Herr Erzbischof, was halten Christen davon, daß sie von den Muslimen als Ungläubige bezeichnet werden? Trifft Sie das persönlich?

BISCHÖFIN MARIA JEPSEN: Aus islamischer Sicht ist das verständlich, da ich als Christin ihren Glauben nicht teile. Eine Religionsgemeinschaft, die für sich allein die Wahrheit beansprucht, kann andere Religionsgemeinschaften nicht voll anerkennen. So wird unsere evangelische Kirche von der katholischen Kirche bis heute nicht als Kirche voll anerkannt. Dennoch gibt es viele gemeinsame Handlungsmöglichkeiten. Wie andere also mich und meine Kirche ansehen, davon hängt mein Selbstverständnis nicht ab.

ERZBISCHOF WERNER THISSEN: Ich gestehe, daß ich anderer Meinung bin. Ich würde mich von niemandem gern ungläubig nennen lassen und auch meinerseits niemanden ungläubig nennen. Im Hinblick auf den Islam habe ich den Wunsch, daß es möglich ist, daß nicht nur die Innensicht - wie sehe ich meine Religion? - wichtig ist, sondern auch die Außensicht - wie sehen andere mich? Dann erledigt sich die Frage, wer ist gläubig und wer ungläubig, von selbst.

ABENDBLATT: Dann die Frage an den Imam. Warum wird dieser Begriff immer wieder gebraucht?

IMAM MEHDI IMAM RAZVI: Für Juden und Christen das Wort "ungläubig" zu benutzen ist völlig falsch. Jedem gebildeten Moslem und Juden sollte klar sein, daß keine zwei anderen Religionen mehr Gemeinsamkeiten haben. Ebenso haben wir auch viele Gemeinsamkeiten mit dem Christentum. Aber es gibt ein Gefälle zwischen Gebildeten und Ungebildeten. Die Gebildeten würden niemals das Wort "ungläubig" benutzen.

ABENDBLATT: Dann müßte es die Aufgabe der Imame sein, dies in den Moscheen zu vermitteln. Aber das passiert gerade im sogenannten Karikaturen-Streit vor allem im arabischen Raum nicht.

RAZVI: Sie haben vollkommen recht. Es ist unsere Aufgabe, der sprachlichen Verwirrung bei uns - das Wort "uns" ist sehr vieldeutig - entgegenzuwirken. Wir sind im Dialog mit den Religionen und haben sehr viel darin geleistet, besonders in Hamburg.

ABENDBLATT: Der Dialog, von dem Sie drei sprechen, wo gibt es den eigentlich? Nur in kleinen intellektuellen Zirkeln?

JEPSEN: Es gibt ihn überall, wo Menschen unterschiedlicher Religionen ernsthaft miteinander reden. Das fängt an in den Kindertagesstätten, in Schulen, in der Universität. Das geschieht dort, wo Frauen miteinander Bibel und Koran lesen, in Vereinen und Stiftungen, in vielen Stadtteilen und in unserem Interreligiösen Forum. Seit Jahren besuchen sich viele Familien im Advent und der Ramadan-Zeit und erklären sich gegenseitig die Traditionen dieser Fastenzeit.

Doch klar muß allen sein, es gibt nicht den Islam oder das Christentum.

THISSEN: Dennoch ist die Gemeinsamkeit unter Christen viel größer. Die Vieldeutigkeit des Islam ist ein Riesenproblem. Ich wohne in St. Georg, wo es mehr Muslime als Christen gibt. Ich habe die Moscheen besucht, und es gibt ein gutes menschliches Einvernehmen. Das hilft schon sehr viel, aber reicht allein nicht. Es müßte auch ein Einvernehmen in grundlegenden Fragen des menschlichen Zusammenlebens geben.

ABENDBLATT: Es scheint auch, daß die fehlende Trennung von Staat und Kirche in der arabischen Welt zum Teil Grund der aufgeheizten Stimmung dort ist . . .

RAZVI: Wie sollen wir Staat und Kirche voneinander trennen, wenn wir keine Kirche haben? Wir haben Umma, die Gemeinde der Gläubigen.

THISSEN: Sollte man eher von der Trennung von Staat und Religion sprechen?

RAZVI: Auch das kann man nicht voneinander trennen.

THISSEN: Die Frage der Trennung von Staat und Religion ist eine Frage der Gesellschaften im dritten Jahrtausend. Da stecken starke Differenzen zwischen den Muslimen und Christen, zwischen der arabischen und der westlichen Welt. Diese Differenz muß bearbeitet werden, um Mißverständnisse zu vermeiden.

RAZVI: Das versuchen wir alle zusammen miteinander zu klären.

JEPSEN: Neutestamentlich ist das sehr deutlich: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Der Staat und seine Politik sind anzuerkennen. Das schließt Kritik und Widerspruch nicht aus. Der Terrorismus jedoch, über den wir sprechen, ist ein islamisch getarnter. Die Religion wird benutzt, und gegen diesen Mißbrauch muß sie sich wehren. Ich bin deswegen froh, daß sich die Muslime in Deutschland so klar gegen die Gewalt ausgesprochen haben.

THISSEN: Ich finde es auch sehr honorig, daß sich verschiedene muslimische Gruppen in Deutschland gegen Gewalt ausgesprochen haben. Wir erleben aber als Christen in den arabischen Ländern, daß oft gegen uns Gewalt angewendet wird. Da höre ich keinen Protest.

RAZVI: Ich kann nicht über iranische Politik sprechen . . .

THISSEN: Aber über Gewalt.

RAZVI: Natürlich. Ich spreche mein Bedauern aus, darüber, was in der Türkei geschehen ist. (Ein katholischer Priester wurde von einem 16jährigen im Namen Allahs erschossen, d. Red.)

THISSEN: Bedauern wäre zuwe- nig . . .

RAZVI: . . . meine Abscheu.

JEPSEN: Die Hamburger Schura (Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, d. Red.) hat bei ihrer Gründung sehr deutlich gesagt: "Wenn wir in unsere Heimatländer fahren - auf Besuch oder für immer -, haben wir von den interreligiösen Begegnungen in Deutschland zu erzählen und daß wir überall Religionsfreiheit brauchen."

THISSEN: Jetzt ist das Stichwort Religionsfreiheit gefallen.

RAZVI: Religionsfreiheit ist sehr wichtig.

THISSEN: Aber für Christen ist sie in manchen arabischen Staaten nicht gegeben. Hier wird theoretisch Religionsfreiheit unterstützt, aber praktisch gibt es sie dort nicht. Das widerspricht sich.

RAZVI: Für mich nicht, weil ich in Hamburg wohne und die Verantwortung für den Islam hier trage.

THISSEN: Das würde bedeuten, für den Karikaturen-Streit tragen Muslime in Dänemark Verantwortung, und das geht die arabische Welt nichts an.

RAZVI: Ich bin kein Araber. Ich bin auch kein Vertreter einer bestimmten arabischen Richtung des Islam, sondern ich bin hier verantwortlich und verpflichtet, deutschem Recht ohne Abstriche zu folgen. Das ist in der Scharia verankert. Das gilt für jedes Land, in dem ich bin.

ABENDBLATT: Es muß Sie als Muslim sehr treffen, daß es im Namen des Islam zu dieser Gewalt kommt. Das kann nicht in Ihrem Interesse sein.

RAZVI: Natürlich nicht. Sie ist nicht in meinem Interesse und dem meiner Glaubensgeschwister in Deutschland, nicht im Interesse meiner Kinder und Enkel.

ABENDBLATT: Ist der interreligöse Dialog überhaupt erfolgreich zu führen?

THISSEN: Wenn nicht, dann gnade uns Gott. Wenn wir nicht zu einem erfolgreichen Dialog kommen, sieht es sehr böse aus.

RAZVI: Dialog bedeutet nehmen und geben. Jeder darf sagen, was er für richtig hält, aber dabei darf keine Konfrontation entstehen.

JEPSEN: Vor einigen Jahren haben wir eine Unterschriftensammlung für den Schutz des Sonntags gemacht. Da kamen auch 800 Unterschriften aus der Schura. Sie setzten sich für die Heiligung des Sonntags ein. Ähnlich wie muslimische Eltern bewußt kirchliche Kindertagesstätten wählen. Dieser interreligiöse Zusammenhalt ist etwas, was wir über Hamburg hinaus verbreiten müssen. Das wäre ein guter Exportschlager anderer Art.

ABENDBLATT: Ist das jetzt der Optimismus von Amts wegen?

JEPSEN: Nein, dahinter stecken Erfahrungen. Hätten wir nicht ein Grundvertrauen, wäre vieles nach dem 11. September vermutlich anders gelaufen.

THISSEN: Die Bischöfin nennt verschiedene Ebenen des Dialogs, den religiösen, theologischen, gesellschaftlichen Dialog und den des Alltags. Alles zusammen ist notwendig und hier in Hamburg vielleicht ausgeprägter als anderswo. Die Frage, ob es wirklich etwas gebracht hat, beunruhigt mich auch, aber ich sehe zu solchem Dialog keine Alternative.

ABENDBLATT: Einige sprechen im Karikaturen-Streit von Krieg.

RAZVI: Glücklicherweise gibt es dafür hier in Deutschland keinen Nährboden.

ABENDBLATT: Ein Ort, an dem in Hamburg aber Gewalt gepredigt wurde, ist die Al-Kuds-Moschee. Gibt es unter Muslimen einen Dialog, wie man damit umgeht?

RAZVI: Wir haben selbstverständlich auch einen innerislamischen Dialog. Aber zur Realität unseres Glaubens gehört auch, daß es unterschiedliche Auslegungen und unterschiedliche Ausbildungen unter den Theologen gibt. Da brauchen wir mehr Einheitlichkeit unter den Religionslehrern in Deutschland.

ABENDBLATT: Müßten die islamischen Vertreter nicht einschreiten, wenn Haß gepredigt wird?

RAZVI: Natürlich liegen Haßpredigten nicht in unserem Interesse. Aber meine Einflußnahme ist sehr begrenzt. Auch wenn ich Volltheologe bin, darf ich nicht den Anschein erwecken, daß ich andere Hodschas oder Imame bevormunde oder belehre.

JEPSEN: Aber Fragen können Sie stellen, und zwar deutlich . . .

RAZVI: Natürlich, und ich kann auch meine Meinung sagen. Und das tue ich auch.