Uno-Klimachef Yvo de Boer: Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg steht kurz bevor. CO2-Ziele und Finanzhilfen weiter umstritten.

Hamburg. Misstöne unter den Industrie- und Entwicklungsländern sowie Proteste am Konferenzort bestimmten gestern den letzten Vorverhandlungstag des Uno-Klimagipfels, bevor heute Staats- und Regierungschefs aus aller Welt ins Geschehen eingreifen, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Fast 120 Staatsoberhäupter haben sich angekündigt. Auf sie wartet viel Arbeit. Der Gipfel drohe mit einem "sehr schlechten Ergebnis" zu enden, fürchteten wichtige Unterhändler, ein Scheitern sei nicht auszuschließen. Uno-Klimachef Yvo de Boer sieht ungeachtet der Schwierigkeiten Chancen für einen Erfolg. Dafür seien aber die nächsten 24 Stunden absolut entscheidend, sagte er.

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Die dänische Präsidentschaft der Konferenz hatte am Nachmittag Entwürfe für die Abschlusstexte vorgelegt, die zentrale Streitfragen zunächst ausklammern. Das betrifft sowohl die geplanten Reduktionsziele für Treibhausgase als auch Finanzfragen. Für das Jahr 2050 werden verschiedene Optionen zwischen minus 50 und minus 95 Prozent im Vergleich zu 1990 sowie einem völligen Verzicht auf ein Reduktionsziel genannt. Auch die Vorgaben zum geplanten Anpassungsfonds für die Entwicklungsländer müssten noch erarbeitet werden, hieß es. Neben Anforderungen an ein neues Abkommen gibt es einen weiteren Textentwurf, der das Kyoto-Protokoll für die Zeit bis 2017 oder bis 2020 fortschreibt.

Mit heftigen Vorwürfen gegen die dänischen Gastgeber hatte gestern eine Gruppe von Entwicklungs- und Schwellenländern die Verhandlungen zunächst blockiert. China, Indien, Südafrika, Brasilien, der Sudan und einige andere Länder kritisierten, nicht ausreichend über neue Diskussionsgrundlagen besonders der Industrieländer informiert worden zu sein. Chinas Verhandlungsführer Su Wei sah darin einen Versuch, das Kyoto-Protokoll zu untergraben. "Der Text kam für uns wie aus dem Nichts", sagte Su. "Einige Delegationen versuchen das Kyoto-Protokoll zu killen."

Es verpflichtet die Industrienationen, ihre Treibhausgase bis 2012 um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu senken, enthält aber keine Vorgaben an Schwellen- und Entwicklungsländer. Dies soll nach Auffassung Chinas so bleiben. Su: "Wir sind nach Kopenhagen gekommen, um das Kyoto-Protokoll und die Klimakonvention umzusetzen." Dagegen streben die meisten Industriestaaten ein einheitliches Vertragswerk an, das alle großen CO2-Produzenten inklusive China und Indien zusammenführt.

Aber es gab gestern auch positive Signale: Die afrikanischen Länder haben ihre Forderungen an die Industrienationen zurückgeschraubt und damit womöglich den Weg zu einem Kompromiss frei gemacht. Der für die Afrikaner sprechende äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi erklärte sich mit dem Vorschlag der reichen Länder einverstanden, den Entwicklungs- und Schwellenländern beim Klimaschutz bis 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar (knapp 69 Milliarden Euro) unter die Arme zu greifen. Beim Konferenzauftakt lagen die Forderungen der Länder des Schwarzen Kontinents an die reichen Staaten noch viermal höher.

Außerhalb der zum Konferenzzentrum umgebauten Messehallen gab es, wie an den Vortagen, Proteste. Die Polizei ging gegen knapp 3000 Demonstranten vor, die den Tagungsort stürmen wollten - die Aktion war seit Tagen öffentlich angekündigt worden. Umweltschützer sprachen von einer "harten Linie" der Sicherheitskräfte. Nach Angaben des Aktionsbündnisses "Climate Justice Action" setzte die Polizei Schlagstöcke, Pfefferspray, Tränengas und Hunde ein. Rund 240 Personen wurden festgenommen. "Diese Reaktion überrascht uns nicht", sagte die Sprecherin des Bündnisses, Natalie Swister. "Die dänische Polizei hat den Protest von Anfang an mit unverhältnismäßigen Mitteln unterdrückt."

Heute beginnen die Schlussverhandlungen mit den Staatschefs und Ressortministern. Chinas Regierungschef Wen Jiabao reiste bereits gestern an und damit einen Tag früher als ursprünglich geplant. Auch der britische Premierminister Gordon Brown, Simbabwes Präsident Robert Mugabe und der Staatschef von Venezuela, Hugo Chávez, sind schon eingetroffen, angekündigt waren EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, der zugleich amtierender EU-Ratspräsident ist. Als einer Letzten hat sich US-Präsident Barack Obama für morgen angesagt.