Wahlsieger Hatoyama will Koalition bilden. Abgewählter Ministerpräsident Aso tritt als Parteichef zurück.

Hamburg. Die Japaner haben einen historischen Machtwechsel gewagt. Die bisher größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei Japans (DPJ) unter dem Hoffnungsträger Yukio Hatoyama hat bei der Wahl zum Unterhaus des Parlaments gestern einen haushohen Sieg über die seit 1955 fast ununterbrochen regierende Liberaldemokratische (LDP) von Ministerpräsident Taro Aso errungen. Aso kündigte noch am Abend seinen Rücktritt als Vorsitzender der LDP an.

Prognosen zufolge könnte die DPJ auf mehr als 300 der insgesamt 480 Sitze in der mächtigen Parlamentskammer kommen. Bisher hatte sie 112 Sitze. Dem 62-jährigen Hatoyama ist die Wahl durch das Unterhaus zum neuen Regierungschef des Landes sicher. Trotz der voraussichtlich komfortablen Mehrheit kündigte er an, eine Koalition mit kleineren Parteien bilden zu wollen. "Ich denke, das Wahlergebnis spiegelt den Ärger der Wähler über die regierende Koalition", sagte der Wahlsieger. Tatsächlich hatten die Japaner angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit, rekordhoher Arbeitslosigkeit, sinkender Einkommen und eines Rentenskandals die Nase voll von der LDP - Aufbauleistung nach dem Krieg hin, früherer Wirtschaftsboom her.

Aber noch in der Wahlnacht zügelte Hatoyama, Enkel eines früheren Ministerpräsidenten, die Erwartungen seiner Anhänger: "Ich habe es schon vorher gesagt: Es wird keinen grundlegenden Richtungswechsel geben." Immerhin hat er aber vor der Wahl versprochen, die DPJ werde die von "Bürokraten geführte unverantwortliche Politik" der LDP-Ära beenden. Während die LDP zuerst die Interessen der Wirtschaft bediente, stellt die Demokratische Partei den Bürger ins Zentrum. Sie will vor allem denen helfen, die am stärksten von der Krise betroffen sind: Familien mit Kindern, Rentnern, Arbeitslosen und den Landwirten. So will sie das Kindergeld erhöhen, die Gebühren für höhere Schulen und Autobahnen abschaffen, Bauern ein Mindesteinkommen geben und eine Mindestrente einführen.

Dieses teure Ausgabenprogramm halten Wirtschaftsvertreter und einige Volkswirte zwar für kaum finanzierbar - zumal Japan mit fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die höchste Staatsverschuldung aller Industrieländer hat. Doch immerhin würde es Geld unters Volk bringen. Manche Volkswirte gehen aber nicht davon aus, dass es zu großen wirtschaftlichen Impulsen für die zweitgrößte Volkswirtschaft kommt.

Die übervorsichtige, auf manchen unentschlossen wirkende Haltung Hatoyamas nährt trotz des überragenden Erfolgs bei vielen Japanern Zweifel, ob er für das Amt des Regierungschefs überhaupt geeignet sei. Aus ihrer Sicht steht Hatoyama im Schatten seines skandalträchtigen Vorgängers an der Parteispitze, Ichiro Ozawa, den er im Mai beerbte. Und in der Tat: Viel Charisma geht von dem Mann nicht aus. "Sein Vorteil ist, dass er nicht Aso ist", sagt der Tokioter Parteienforscher Jeff Kingston wenig schmeichelhaft über den baldigen Ministerpräsidenten. Hatoyama sei ein wenig farblos und hinterlasse keinen bleibenden Eindruck. Seine politische Karriere begann Hatoyama in der LDP, die er nun besiegte. Der in Stanford promovierte Ingenieur entstammt einer der reichsten Familien Japans. Der Großvater mütterlicherseits gründete Bridgestone, einen der weltgrößten Reifenhersteller. Der andere Großvater war Ministerpräsident, von ihm hat Hatoyama seine Philosophie der "Bruderschaft". Der Vater des Spitzenkandidaten der Demokratischen Partei war Außenminister. Hatoyamas jüngerer Bruder Kunio trat im Juni als Innenminister zurück, was Spekulationen auslöste, beide könnten eine Allianz schmieden.

Doch ungeachtet seiner sozialen Herkunft steht Hatoyama den Gewerkschaften und den Verbrauchern näher als dem Big Business. Er hat angekündigt, die Kaufkraft der Japaner zu stärken, und will die fünfprozentige Verbrauchssteuer vorerst nicht anheben. Außenpolitisch strebt Hatoyama eine Abnabelung von den USA und bessere Beziehungen zu asiatischen Ländern an.

Hatoyama ist mit einer früheren Musical-Darstellerin verheiratet, die bereits mehrere Kochbücher veröffentlicht hat. Sie sucht auch die Kleidung ihres Mannes aus.