Yukio Hatoyama (62) gilt als steif und hölzern. Doch der neue Regierungschef hat eine schillernde Biografie und eine ebensolche Familie.

Tokio. Sein mitunter abgehobenes Auftreten hat ihm den Spitznamen „Der Außerirdische“ eingetragen. Yukio Hatoyama (62) gilt als steif und hölzern, zuweilen auch als herablassend – ganz bestimmt aber nicht als charismatisch. Doch eben dieser Professortyp, als der er oft beschrieben wird, soll in Japan nun einen Neuanfang ermöglichen. Der neue Ministerpräsident steht für den Wandel, den sich die Japaner wünschen – frischer Wind, aber bitte nicht zu stürmisch.

Mit dem langjährigen Oppositionsführer Hatoyama wurde zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte ein Wechsel vollzogen. Im Parlament erhielt der Vorsitzende der Demokratischen Partei 327 der 480 Stimmen. Hatoyamas Amtsantritt bedeutet das Ende von mehr als 50 Jahren nahezu ununterbrochener Regierungszeit der Liberaldemokratischen Partei (LDP).

Das Kabinett des bisherigen Ministerpräsidenten Taro Aso trat vor Beginn der Parlamentssitzung geschlossen zurück. Die neue Mitte-Links-Koalition aus Demokratischer Partei (DPJ), Neuer Volkspartei (PNP) und Sozialdemokraten (SDP) hat eine Mehrheit von 308 der 480 Sitze im Parlament.

Hatoyama stellte umgehend sein Kabinett vor. Das Außenministerium übernimmt Katsuyo Okada und das Finanzministerium Hirohisa Fujii. Für Okada ist es das erste Regierungsamt, Fujii war schon einmal von 1993 bis 1994 Finanzminister in einer Koalitionsregierung. Das war das einzige Mal zuvor, dass die Liberaldemokraten nach 1945 nicht an der Macht waren.

Die Wahl von Hatoyama markiert einen Wendepunkt in Japan, das sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg befindet. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau, die Löhne sinken. Hatoyama hat versprochen, gegen die Bürokratie einzuschreiten, die Verschwendung von Steuergeldern zu stoppen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, indem geplante Steuererhöhungen zunächst ausgesetzt werden. Die Politik werde sich künftig auf die Konsumenten konzentrieren und nicht auf die Unternehmen. Er wolle, dass die Menschen so bald wie möglich eine Besserung ihrer Lage im eigenen Portemonnaie spürten, sagte Hatoyama.

Das sind seine wichtigsten Schritte:

– ein Kindergeld in Höhe von umgerechnet 200 Euro pro Monat und Kind ab 2011

– stufenweises Abschaffen von Autobahngebühren

– die Mehrwertsteuer soll in den die kommenden vier Jahre bei fünf Prozent bleiben

– neben der Landwirtschaft sollen vor allem die Bio- und Umwelttechnologie und die IT-Branche unterstützt werden

– Personalkosten in der Regierung senken

– die Körperschaftssteuer für kleine bis mittelgroße Unternehmen soll von 18 Prozent auf elf gesenkt werden

– Einführung eines Mindestlohns in Höhe von umgerechnet etwa 6,10 Euro pro Stunde mit der Aussicht auf eine Erhöhung auf 7,60 Euro

– staatliche Mindestrente in Höhe von umgerechnet etwa 535 Euro pro Monat.

Hatoyama kann nur auf wenige politisch erfahrene Politiker zurückgreifen. Seine Partei wurde erst vor zehn Jahren gegründet, sie war nie an der Macht und fast die Hälfte der Abgeordneten ist zum ersten Mal im Parlament. Doch Hatoyama stammt aus einer Familie, in der seit Generationen Politik gemacht wird. Mit den berühmten Kennedys in den USA wird der Clan oft verglichen: Nicht nur, dass Hatoyamas Großvater Ministerpräsident war – sein Vater war Außenminister, sein Bruder Innenminister.

Die Familie ist zudem wohlhabend: Während der eine Großvater Hatoyamas in den 50er Jahren die Regierungsgeschäfte führte, gründete der andere den Reifenkonzern Bridgestone. Hatoyama selbst absolvierte ein Ingenieurstudium an der Universität Tokio, anschließend promovierte er an der US-Universität Stanford und lehrte dann Wirtschaftswissenschaften an der Senshu-Universität in Tokio.

Hatoyama gewann in 1986 erstmals seinen Wahlkreis auf der Insel Hokkaido, seitdem sitzt er als Abgeordneter im japanischen Unterhaus. Trotz eines Spendenskandals, im dem er zugeben musste, dass sein Büro Zuwendungen jahrelang falsch abgerechnet hatte und auch Tote als Spender angegeben worden waren, überzeugte er die Wähler. Er gab sich volksnah und betonte stets, kein „Erb-Politiker“ zu sein. Außer dem Programmieren von Computern pflegt Hatoyama keine extravaganten Hobbys, spielt Tennis, hört gerne klassische Musik und schaut gern Fußball. In seiner ersten Amtszeit als Parteichef ließ er sich klaglos den Spitznamen „Alien“ gefallen: der Außerirdische. Die Partei verteilte sogar Werbegeschenke, die Hatoyama als glubschäugigen Außerirdischen zeigen – in Anspielung auf seine leicht hervortretenden Augen.

Er ist verheiratet mit der früheren Schauspielerin und Kochbuch-Autorin Miyuki und hat einen in Russland lebenden Sohn hat. Sein Ziel ist eine „brüderliche Gesellschaft“ und eine „auf Liebe basierende Politik“, sagte Hatoyama. Ob dies nur Wahlkampfrhetorik war oder ob er tatsächlich aus anderem Holz geschnitzt ist als das konservative Establishment in Japan, muss der „japanische Kennedy“ noch unter Beweis stellen.