Sie sehen aus wie Touristen und sollen Terroristen gewesen sein. Das bestreiten die Uiguren, die jetzt auf den Bermudas leben wollen. In China sind sie Staatsfeinde.

Hamilton. In ihren kurzärmeligen Hemden sehen die vier Männer wie ganz normale Touristen aus, die auf den Bermudas beim Mittagessen den Ausblick auf den Atlantik genießen. Die Männer sind Uiguren, Muslime aus dem unwirtlichen fernen Westen Chinas. Sie waren einst als Terrorverdächtige im US-Gefangenenlager Guantánamo gelandet, ihre Unschuld stellte sich jedoch bald heraus. Doch sie blieben Gefangene, denn niemand wollte die Männer aufnehmen und damit China verärgern. Doch vor wenigen Tagen nahmen die Bermudas die Uiguren auf.

„Als wir kein Land hatten, das uns annehmen würde, und alle vor uns Angst hatten, da hatten die Bermudas den Mut, uns aufzunehmen“, sagt der 30-jährige Abdulla Abdulgadir. Die vier genossen nun nach Jahren in Haft ihr erstes Wochenende in Freiheit, bei tropischen Temperaturen. Abdulgadir, der jüngste der vier, ist von seiner neuen Heimat angetan. „Wir gehen nirgends mehr hin.“

Die Gefangenenuniform haben sie gegen leichte Baumwollhosen und Sommerhemden getauscht, anstatt hinter Stacheldrahtzäunen leben sie nun in Strandbungalows. Sie hoffen, schon bald eine Arbeit zu finden und vielleicht auch, Familien zu gründen. „Ich habe ihnen gesagt: ,eins nach dem anderem’“, sagt Glenn Brangman, ein ehemaliger Militärbeamter, der ihnen bei der Wiedereingliederung in der normalen Welt hilft. „Sie beginnen ihr Leben komplett neu.“ Zunächst müssten sie praktische Dinge lernen wie Autofahren, Schnorcheln und Tauchen.

Für 13 weitere Uiguren aus Guantánamo – von denen ursprünglich auch einige nach Deutschland kommen sollten – ist die Odyssee noch nicht vorbei: Die Angehörigen der chinesischen Minderheit sitzen immer noch in dem US-Gefangenenlager auf Kuba. Aber der pazifische Inselstaat Palau hat eine Aufnahme angeboten. Die Verhandlungen laufen noch. Alle 17 Uiguren wurden in Pakistan oder Afghanistan als mutmaßliche Unterstützer von Taliban und al-Qaida festgenommen. Sie haben die Vorwürfe jedoch immer bestritten und erklärt, sie seien nur wegen der Unterdrückung in China in die Nachbarländer geflohen.

„Wir haben nur einen Feind – und das sind die Chinesen“, sagte Ablikim Turahun 2004 in einem Prozess vor einem US-Militärtribunal. „Sie haben uns gefoltert und uns alle getötet: Alte, Junge, Männer, Frauen, kleine Kinder und ungeborene Kinder.“ Die Uiguren wurden von den US-Behörden für unschuldig erklärt. Sie nach China zu überstellen war jedoch nicht möglich, da ihnen dort Strafverfolgung oder Folter drohte. Albanien hatte 2006 fünf Uiguren aufgenommen, von den 17 übrigen Angehörigen des Turkvolkes wollte es aber nichts mehr wissen. Und die meisten anderen Länder zierten sich vor einer Aufnahme, weil China lautstark grollte – das Regime in Peking sieht in den Uiguren Staatsfeinde.

„Nicht jeder ist froh über das, was die Regierung gemacht hat“, sagt Brangman. Die 68 000 Einwohner der Inselgruppe wurden von der Aufnahme der Uiguren genauso überrascht wie die Kolonialmacht Großbritannien. Die Opposition im Parlament in Hamilton stellte einen Misstrauensantrag gegen die Regierung. Brangman warnt deswegen auch davor, die Uiguren zu schnell unbegleitet ins freie Leben zu entlassen. „Das muss kontrolliert passieren.“

Ihre Übersetzerin Rushan Abbas sagt, die Männer erfreuen sich zunächst an den einfachen Dingen des Lebens. Beim Spaziergang am Strand trafen sie auf einen Fischer und wurden neugierig. Der Mann zeigte ihnen, wie sie den Köder in den Ozean schleudern mussten – und einer der früheren Gefangenen, Khelil Mamut, zog schon bald unter dem Jubeln der übrigen drei einen rund 25 Zentimeter langen Fisch aus dem Wasser.

Später ging Brangman mit ihnen schwimmen – Freiheit pur. Er habe ihnen zugesehen, wie sie auf die Felsen kletterten und ins Wasser sprangen. So wie er es als Kind auch immer gemacht habe, erzählt Brangman. „Die Einheimischen testen normalerweise erst die Wassertemperatur. Aber die sind einfach zur Klippe gelaufen und reingesprungen“, sagt Brangman. Zwei Gründe leuchten dabei sofort ein: Die Uiguren mussten Jahre auf diesen Moment warten – und wer aus einer zentralasiatischen Hochebene kommt, ist wohl weniger verfroren als der durchschnittliche Einwohner der Bermudas.