Die Harvard-Absolvetin war eine schillernde, machbewusste Frau. Und die erste, die je an die Spitze eines islamischen Staates gewählt wurde.

Hamburg. Endgültig gehärtet für den politischen Kampf in einem gnadenlosen Umfeld wurde Benazir Bhutto wohl mit 26 Jahren. Damals, im Jahre 1979, erlebte sie, wie ihr Vater, der frühere Präsident und Premierminister von Pakistan, aufgrund konstruierter Mordvorwürfe und ungeachtet internationaler Proteste in Rawalpindi gehängt wurde.

Der Drahtzieher der Beseitigung von Zulfikar Ali Bhutto, Militärmachthaber Mohammed Zia ul-Haq, verkörperte in seiner Person genau jene beiden rivalisierenden Kräfte, gegen die Benazir Bhutto später antrat und die Pakistan in unseren Tagen zwischen Anarchie und Tyrannei entlangtaumeln lassen: die Armee und den Islamismus.

Benazir Bhutto war das letzte Kind der einst so mächtigen, ursprünglich aus Indien stammenden Familie, das dem Vater in den Tod folgte. Ihr Bruder Murtaza Bhutto wurde 1996 von der Polizei in Karatschi erschossen, Shanawaz Bhutto im französischen Exil vergiftet - angeblich, wie es hieß, von seiner eigenen Frau.

Geboren am 21. Juni 1953, war Benazir Bhutto die erste Frau, die je an die Spitze eines muslimischen Staates gewählt wurde. Ausgebildet an den Eliteuniversitäten Harvard und Oxford, half sie ihrem Vater bei der politischen Arbeit, wurde nach seinem Tod mehrfach arrestiert und floh dann ins britische Exil.

1987 heiratete sie den reichen Zementfabrikanten Asif Ali Zardari - eine ähnlich schillernde Erscheinung wie sie selber. Der Chef des Zardari-Stammes war Abgeordneter, Senator und Umweltminister in der Regierung seiner Frau. Er verbrachte elf Jahre seines Lebens im Gefängnis - ohne je verurteilt worden zu sein. Die Vorwürfe gegen ihn reichten von Korruption, Erpressung und Verschwörung bis hin zum Mord. Der heute schwerkranke, in New York und Dubai lebende Zardari hat stets seine Unschuld beteuert und politische Gegner seiner Frau für die vielen Anklagen verantwortlich gemacht. In einem Fall tauchten entlastende Tonbänder auf, die nicht nur Zardaris Unschuld in einem Fall von Doppelmord bewiesen - sondern auch, dass eine Behörde einen zuständigen Richter erpresst hatte, um eine Verurteilung Zardaris zu erzwingen.

Benazir Bhutto kehrte jedenfalls nach dem Tod Zia ul-Haqs bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz nach Pakistan zurück - und gewann 1988 auf Anhieb die ersten freien Wahlen seit 1977. Aufgrund von Korruptionsvorwürfen - die sie vehement bestritt und die auch niemals zu einer Anklage führten - wurde sie als Regierungschefin 1990 abgelöst. Sie kämpfte verbissen um ihre Rehabilitierung - und wurde 1993 ein zweites Mal gewählt.

Und wieder wurde ihre Regierung vorzeitig aufgelöst - wieder wegen Korruptionsvorwürfen und wieder konnte nichts bewiesen werden. Bhutto hatte sich mächtige Feinde gemacht, als sie Reformen zulasten der alten pakistanischen Feudalstrukturen einleitete. Wieder ging Benazir Bhutto ins Exil - diesmal nach Dubai. Und ein weiteres Mal erkämpfte sie sich nicht nur die Rückkehr nach Pakistan - gegen den Willen des mächtigen Militärherrschers Pervez Musharraf -, sondern sogar die Chance auf eine Rückkehr an die Macht.

Erst am 18. Oktober war sie im Triumphzug in ihre Heimatstadt Karatschi zurückgekehrt. Sie hatte einen später geplatzten Deal mit Musharraf abgeschlossen - sie würde ihn unterstützen und dafür Premier werden, der innenpolitisch arg bedrängte General dafür Präsident bleiben dürfen - allerdings als Armeechef zurücktreten. Und nebenbei würde er alle Korruptionsvorwürfe gegen sie fallen lassen.

Dieser Kuhhandel ließ sie in den Augen mancher Anhänger unglaubwürdig werden, wurde aber auch als Beweis für ihre unglaubliche Willensstärke und ihr Verhandlungsgeschick gewertet. Sie hatte aus scheinbar aussichtsloser Position im Exil heraus das Maximale für sich herausgeholt. Die Abmachung wurde allerdings gegenstandslos, als Musharraf den Ausnahmezustand verhängte. Bhutto blieb unbeugsam, auch als sie in Hausarrest gesteckt wurde, und bedachte Musharraf mit Schmähungen.

Das Terrornetzwerk al-Qaida hatte mit Anschlägen gegen die machtbewusste Frau gedroht. Zwar trug Bhutto das Kopftuch gläubiger Muslimas und hatte den radikalislamischen Taliban 1996 finanzielle und militärische Hilfe zukommen lassen, als sich die Koran-Schüler in Afghanistan an die Macht kämpften. Sie hatte auch dafür gesorgt, dass Pakistan als einer von nur drei Staaten der Welt deren brutales, intolerantes Regime anerkannte.

Doch später hatte sich Benazir Bhutto frontal gegen die Taliban gestellt, deren Inhaftierung und Demokratie gefordert. Auch gibt es Berichte, nach denen sie während ihrer Studienzeit in den USA und Europa eine sehr "westliche Lebensweise" geführt haben soll. Unbestätigte Meldungen sprechen gar von Nacktfotos am Strand. Mit anderen Worten - für radikale Islamisten war sie ein leuchtend rotes Tuch.

Bereits kurz nach ihrer Rückkehr nach Pakistan, nach Mitternacht des 19. Oktobers, als ihre Wagenkolonne auf halbem Weg vom Flughafen in die Innenstadt von Karatschi war, hatten zwei Bomben 139 Menschen zerrissen. Bhutto blieb unverletzt, weil sie Augenblicke zuvor in ein gepanzertes Fahrzeug gestiegen war. Doch sie wusste, dass sie seitdem im "gefährlichsten Land der Welt" auf geborgte Zeit lebte.