Sekunden vor dem Attentat hatte sie noch aus dem offenen Dach ihres Autos ihren Anhängern zugewinkt.

Neu-Delhi/Islamabad. Die Atommacht Pakistan steht unter Schock. Als sich die Nachricht vom Mord an Benazir Bhutto am frühen Abend wie ein Lauffeuer verbreitete, hielt das Land für einen Moment den Atem an. Alle Fernsehsender unterbrachen ihre Programme und schalteten in die Garnisonsstadt Rawalpindi: Dort waren nach einer Wahlkampfveranstaltung Schüsse gefallen, und ein Selbstmordattentäter hatte sich neben Bhuttos Fahrzeugkolonne in die Luft gesprengt. Wenig später war die frühere Premierministerin und charismatische Oppositionsführerin in einem Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen gestorben.

Schon am Nachmittag hatten sich in Rawalpindi Tausende Menschen versammelt, um einer Rede der Chefin der Pakistanischen Volkspartei PPP zuzuhören. Die Stimmung unter den PPP-Anhängern war ausgelassen. Überall flatterten Fähnchen in den Parteifarben Rot, Grün und Schwarz. An den Hauswänden um den Veranstaltungsort waren riesige Plakate mit dem Konterfei Bhuttos angebracht. Die Rivalin des umstrittenen Präsidenten Pervez Musharraf forderte mehrfach die vollständige Rückkehr zur Demokratie in Pakistan. Denn nur so, sagte sie, könne das Land den Kampf gegen die Extremisten gewinnen.

Nach ihrer umjubelten Ansprache wurde Bhutto zum Ausgang des umzäunten Veranstaltungsortes gefahren. Doch obwohl bereits in der Nacht zum 19. Oktober - wenige Stunden nach ihrer Rückkehr aus dem Exil - in der Hafenstadt Karatschi ein Anschlag auf sie verübt worden war, winkte sie ihren Unterstützern aus dem offenen Dach ihres Geländewagens zu.

"Jugendliche haben Sprechchöre zu ihrer Unterstützung gerufen", berichtet Sardar Qamar Hayyat, ein Funktionär der PPP, der das Geschehen aus zehn Meter Entfernung beobachtete. "Dann sah ich einen jungen schlanken Mann, der von hinten auf ihr Fahrzeug zusprang und zu schießen begann." Das Auto sei schnell davongefahren, berichtet Hayyat weiter. "Das war die Zeit, als ich eine Explosion hörte und zu Boden stürzte."

Anschließend bricht Chaos aus. Menschen laufen schreiend durcheinander. Überall liegen Tote und Verletzte. Erste Rettungswagen treffen am Unglücksort ein. Auch Polizisten sind zur Stelle. Einige von ihnen werden zur Zielscheibe verbitterter PPP-Anhänger, die mit Holzlatten auf die Streifenwagen einschlagen. Wenig später ist der Tod Benazir Bhuttos gewiss.

Sicherheitskräfte hatten seit dem Anschlag von Oktober mit 139 Toten ihre Warnungen vor möglichen Anschlägen auf Bhutto vervielfacht. Immer wieder betonten sie, ihnen lägen "präzise" Informationen über von Islamisten geplante Attentate auf Bhutto vor. Bhutto indes gab immer wieder "ranghohen Verantwortlichen" aus dem Dunstkreis der Regierung und Geheimagenten die Schuld an dem Anschlag. Beweise indes legte sie nicht vor. "Ich kann nicht glauben, dass sie tatsächlich ermordet wurde", sagt Mana Hassan, eine 30-jährige Lehrerin aus Rawalpindi, mit Tränen in den Augen. "Ich hoffe noch immer, dass alles nur ein böser Traum ist." Für Mana Hassan war Bhutto eine Hoffnungsträgerin auf dem Weg zurück zur Demokratie. Auch Abrar Hussain, ein Mann mit grauem Bart, ist erschüttert über die Ereignisse. Er habe Bhuttos Politik zwar nie unterstützt, gesteht er. Aber die Tatsache, dass in ihr nicht nur die Politikerin, sondern auch eine Mutter getötet wurde, stimme ihn traurig. Andernorts entluden sich Wut und Verzweiflung.

Vor dem Krankenhaus in Rawalpindi skandierten Hunderte Bhutto-Anhänger Parolen gegen die Regierung Musharraf. Aus anderen Städten wurden am Abend gewalttätige Proteste gemeldet.