Milliarden-Projekt: Die strategisch wichtige Verbindung ist zu eng geworden. Peking will investieren und Einfluß nehmen. Präsident Torrijos will heute seine Pläne vorstellen. Washington fürchtet die asiatische Konkurrenz, und Ökologen warnen vor der Waldrodung.

Hamburg. Der Hafen von Colon am Panamakanal ist ein riesiges Getto: 60 000 Menschen in vergitterten Betonfestungen, 50 Prozent Arbeitslose unter dem Existenzminimum, Uringestank, Müll, Schlägerbanden, Drogendealer, Rap-Musik. Reiseführer raten dringend von Besuchen ab.

Das Dorf Los Faldares 20 Kilometer weiter am Gatun-See, der seine Wasser in die Kanalschleusen gießt, ist eine Idylle: fleißige Familien in schmucken Backsteinhäusern, Schule, Kapelle, Fußballfeld zwischen Mais- und Reisfeldern, Mango- und Orangenplantagen.

Jetzt gehen die Bauern auf die Barrikaden: Sie wehren sich gegen Pläne, die berühmte Wasserstraße zu verbreitern. Staatspräsident Martin Torrijos will das gigantische Vorhaben heute in einer landesweiten Rundfunk- und Fernsehansprache vorstellen.

Der Widerstand ist wohlbegründet: Die Leute von Los Faldares wollen nicht so leben wie die Leute von Colon. Doch auch El Presidente hat gute Argumente: Immer mehr neue Frachtschiffe sind zu groß für den alten Kanal, vor allem zu breit für die Schleusen. Wenn nicht bald etwas geschieht, droht Panamas wichtigste Einnahmequelle zu versiegen.

Mit dem Konflikt kehrt ein lange vergessener Brennpunkt in die Tagespolitik zurück. Der Panamakanal, größtes technisches Wunderwerk des 20. Jahrhunderts, besitzt enorme geostrategische Bedeutung: Für die USA ist er eine hohle Gasse mitten in ihren Hinterhof, für China, Japan und Taiwan ein zeitsparendes Förderband ihrer ständig wachsenden Industrieproduktion. Lateinamerika winkt ein Prestigegewinn in der Selbstbehauptung gegen die ungeliebten "Yankees", Europa beobachtet gespannt eine neue Nagelprobe im weltweiten Paradigmenstreit der Ökonomie gegen die Ökologie.

Am Anfang war der Panamakanal indes vor allem ein technisches Abenteuer von nie gekannten Dimensionen, ein Projekt im Prometheusformat, ein Mythos in Stahl und Beton. Schon 1804 sprechen US-Präsident Thomas Jefferson und Universalgenie Alexander von Humboldt über eine Wasserstraße vom Atlantik zum Pazifik. Der Deutsche favorisiert eine naturverträgliche Lösung durch ein anderes mittelamerikanisches Land, die der Eisenbahn-Mogul und Dampfschiff-Pionier Cornelius Vanderbilt tatsächlich realisiert: Der Amerikaner schippert Passagiere über den Rio San Juan auf den Großen See von Nicaragua, für die letzten 18 Kilometer zum Pazifikhafen San Juan del Sur stehen Postkutschen bereit.

Doch in Nicaragua liegen 300 Kilometer, in Panama nur knapp 80 Kilometer zwischen den Meeren. Eine Kanal-Lobby entfesselt eine Propagandaschlacht. Briefmarken aus Nicaragua, die das Land als "Paradies der Vulkane" feiern, dienen plötzlich als Beweis für geologische Gefahren. Panama ist damals noch eine Provinz Neu-Granadas, das erst später Kolumbien heißt. 1846 besorgt sich Washington dort das alleinige Transitrecht durch den Isthmus "mit allen verfügbaren Mitteln, auch solchen, die sich in Zukunft bieten sollten".

Als ein Jahr später in Kalifornien Gold gefunden wird, muß der neue Transportweg schnellstens her - zunächst als Eisenbahn. Beim Bau der "Panama Railroad" sterben 12 000 Arbeiter aus China, die meisten an Malaria, Gelbfieber und Ruhr. Da sie von der Malaria Depressionen bekommen, erhängen oder ertränken sich viele, manche pfählen sich mit zugespitzten Bambusrohren. "Für jede Bahnschwelle ein toter Chinese!" schreiben Zeitungen. Die Leichen werden in Salzfässer eingepökelt und an medizinische Fakultäten in Europa und Amerika verkauft.

Den ersten Panamakanal plant der Erbauer des Suezkanals, der Franzose Ferdinand de Lesseps. Er will 1879 den Isthmus auf Meereshöhe durchstechen. 80 000 Franzosen stecken ihre Ersparnisse in seine Gesellschaft. Doch die Natur wehrt sich, immer wieder kommt die Erde ins Rutschen. 22 000 Arbeiter sterben an Tropenkrankheiten. Der Ingenieur Gustave Eiffel rät, statt der tiefen Kerbe lieber Schleusen zu bauen - zu spät, 1889 ist die Gesellschaft bankrott.

Nun nimmt sich eine echte Abenteurernatur der Sache an: Theodore Roosevelt, US-Präsident und Großwildjäger. 1903 beaufsichtigen seine Kriegsschiffe eine Revolution, die Panama von Kolumbien trennt. 1905 macht er John F. Stevens, den Erbauer der Eisenbahn durch die Rocky Mountains, zum Leiter des neuen Prestige-Projekts. Der Ingenieur ersinnt ein geniales Konzept: Von der Atlantik-Einfahrt fahren die Schiffe knapp 30 Kilometer auf Meereshöhe zu den drei Gatun-Schleusen, werden dort 26 Meter hoch in den Gatun-Stausee gehoben und schwimmen auf ihm 37 Kilometer zum Culebra-Einschnitt, der das Rückgrat Amerikas auf 13 Kilometer Länge in 150 Meter Breite durchtrennt. Dann sinken sie in den Schleusen von Pedro Miguel und Miraflores wieder auf Meereshöhe und erreichen elf Kilometer weiter den Pazifik.

Der Bau bricht alle Rekorde. Roosevelt läßt sich vor einer 95 Tonnen schweren Bucyrus-Schaufel made in USA filmen und befiehlt: "Laßt den Dreck fliegen!" Die Amerikaner bewegen dreimal soviel Erde wie die Franzosen am Suezkanal. Den Aushub der Dampfbagger karren Waggons durch ein Gleisnetz von 724 Kilometern. Auch der Portland-Zement kommt aus den USA. Fabriken mixen den Beton direkt an der Baustelle, Seilbahnen tragen die Kübel zu den Verschalungen. Die zwölf Schleusenkammern sind 305 Meter lang, 33 Meter breit und bis zu 26 Meter tief - groß genug für die "Titanic". 1500 Elektromotoren bewegen die jeweils 750 Tonnen schweren Tore und 70 Ventile, bei jeder Schiffspassage fließen 200 Millionen Liter Süßwasser ins Meer.

Die Welt ist begeistert, doch die Einheimischen bleiben zurückhaltend: Sie können die "Yankees" nicht leiden. Panama wird in US-Zeitungen "Land des Schmollens" genannt. 1968 putscht General Omar Torrijos gegen den US-freundlichen Präsidenten Arnulfo Arias, 1977 ringt er US-Präsident Jimmy Carter die Rückgabe des Kanalgebiets zum Jahr 2000 ab.

Jetzt muß Sohn Martin Torrijos, 2004 zum Präsidenten gewählt, geschätzte sieben Milliarden Dollar investieren: Soviel kostet eine neue Kette von Schleusen, groß genug für die riesigen Containerschiffe, die aus Fernost inzwischen durch den Suezkanal fahren. Noch schwimmen fünf Prozent des Welthandels durch den Panamakanal. 2005 kassierte die Kanalbehörde von 14 000 Schiffen eine Milliarde Dollar Gebühren. Wer am Kanal arbeitet, verdient auf US-Niveau. Das Geld fließt nach Panama-City mit seiner imposanten Skyline, aber 40 Prozent der 2,8 Millionen Einwohner leben unter der Armutsgrenze in einem Sumpf aus Korruption, Gewalt und Drogen.

Präsident Torrijos möchte den Kraftakt ohne Kredite schaffen. Vor allem China dringt auf einen raschen Ausbau und ist sogar bereit, daran mitzuwirken - sehr zum Ärger der USA, die um ihren Einfluß in der Region fürchten. Das geostrategische Ringen läßt Kommentatoren bereits daran denken, daß Washington sich bei der Rückgabe des Kanals für Krisenfälle ein militärisches Interventionsrecht garantieren ließ.

Die größte Gefahr droht dem neuen Panama-Projekt indes von der Natur selbst: Wird die Schleusenkette tatsächlich gebaut, müssen mit Los Faldares 600 Dörfer weichen, fallen Millionen Bäume mit fatalen Folgen für den Wasserkreislauf: Dann könnte es sein, so fürchten Forscher, daß künftig in der Kanalregion erheblich weniger Regen fällt - und für die schönen großen Schleusen das Wasser fehlt. Vielleicht eine neue Chance für den Humboldtkanal durch Nicaragua?