Regen und Temperaturen um den Gefrierpunkt erschweren die Rettungsarbeiten. Evakuierte irren mit Rollkoffern durch die Straßen. Auch das Krankenhaus von L'Aquila ist vom Beben zerstört worden. Bilder von der Katastrophe.

L'Aquila/Rom/Hamburg. Für Maria D'Antuono ist es ein Wunder. Am Montag um halb vier in der Nacht erschütterte das massive Erdbeben ihr Haus in der kleinen Ortschaft Tempera bei L'Aquila - und begrub die 98-Jährige in einem Hohlraum unter den Trümmern. 30 Stunden lang wartete die Greisin, die sich selbst nicht befreien konnte. Gestern Morgen konnten Rettungskräfte sie lebend bergen, bei guter Gesundheit. Auf die Frage, wie sie das Unglück überstanden habe, sagte Maria D'Antuono seelenruhig: Sie habe die ganze Zeit gehäkelt.

Seit dem Hauptbeben wurden allein in L'Aquila zehntausend bis fünfzehntausend Gebäude beschädigt oder zerstört. Die 70 000-Einwohnerstadt ist das Industrie- und Verwaltungszentrum der Abruzzen. Ganze Wohnblocks seien wie Kartenhäuser zusammengeklappt, berichtet der Sender RAI.

Bisher konnten Helfer mehr als hundert Menschen in der Stadt retten. Sie zogen eine 21-Jährige und einen 22-Jährigen verletzt aus den Trümmern eines fünfstöckigen Wohnhauses. Gestern Morgen bargen sie eine Schwangere und eine 24-jährige Studentin, berichten "Spiegel Online" und die italienische Nachrichtenagentur ANSA.

Weniger Glück hatte das Klarissinnen-Kloster in Paganica bei L'Aquila. Die Äbtissin Gemma Antonucci (61) wurde unter dem einbrechenden Dach begraben. Die übrigen Ordensfrauen konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, meldete die Tageszeitung "Il Giornale". Ums Leben kam auch die Leiterin des Augustinerinnenklosters Sant'Amico im historischen Zentrum von L'Aquila.

Längst ist der Rettungseinsatz ein Wettlauf mit dem Tod. Regen und Temperaturen um den Gefrierpunkt erschweren die Bergungsarbeiten. Die Zahl der Obdachlosen wird vom Zivilschutz mit 70 000, von L'Aquilas Bürgermeister Massimo Cialente mit 100 000 angegeben. Viele Bewohner mussten die Nacht in ihren Autos oder in Zeltlagern verbringen. Auf den Straßen ziehen Obdachlose den geretteten Rest ihrer Habe in Rollkoffern hinter sich her.

Besonders hart traf das Beben das idyllische Bergdorf Onna - seit Montagnacht existiert es nicht mehr. Nur ein Schutthaufen ist von dem Örtchen übrig, kein einziges Haus ist heil geblieben, die Straßen sind voll mit Ziegelsteinen und Betonbrocken. 40 der rund 300 Dorfbewohner starben unter den Trümmern, etwa jeder siebte. "Wir haben hier 40 Leichen geborgen", sagt ein Feuerwehrsprecher.

Ganz Italien packt jetzt an, um dem Trauma des Bebens trotzig eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegenzusetzen. Streikende Arbeiter aus Venedig stiften Geld für die Opfer und den Wiederaufbau. Manche organisieren Benefizkonzerte, beim Blutspenden herrscht Andrang. Stardirigent Claudio Abbado widmet einen Abend mit seinem Orchester den Zehntausenden Erdbebenopfern. Tageszeitungen titeln: "Wir sind alle mit euch" und "Wir sind alle Abruzzesen".