Amstetten kennen die Österreicher vom großen Helmut Qualtinger. “Im Zugabteil“ ist eine Persiflage auf die Tatsache, dass es zwei Autobahnabfahrten...

Amstetten. Amstetten kennen die Österreicher vom großen Helmut Qualtinger. "Im Zugabteil" ist eine Persiflage auf die Tatsache, dass es zwei Autobahnabfahrten gibt und der Zug in Amstetten zweimal stoppt. Viel mehr wusste der Österreicher bis Ende April 2008 von Amstetten nicht - bis das Böse weit über die Landesgrenzen hinaus einen Namen erhielt: Josef Fritzl, Inzest-Vater. Der aus dem Horror-Haus mit Verlies.

Es ist die Nummer 40 in der Ybbsstraße. Das Namensschild an der Klingel wurde entfernt. Und das Haus wirkt - trotz der Gardinen an allen Fenstern - verlassen. Werbung quillt aus den Briefkästen neben dem Hauseingang. Kalter Wind pfeift durch die Straße. "In diesem Haus wohnt keiner mehr", sagt ein Passant und eilt weiter. "Hier ist tote Hose", meint auch ein Polizist, der vor dem Eingang steht. Außerdem ist alles kameraüberwacht. Reporter hätten seinerzeit Siegel gebrochen und versucht, Fotos von jenem Kellerverlies zu schießen, in denen Fritzl seine Zweitfamilie gefangenen gehalten hatte.

Ein Rentner schlurft am Fritzl-Haus vorbei. "Ach wissen Sie" sagt er, "wir sind froh, dass es erst einmal vorbei ist. Wir Österreicher lieben das Floriansprinzip: Jetzt ist die Medienmeute in St. Pölten, und wir haben unsere Ruhe."

Was so nicht ganz stimmt. Denn in der Stadtpfarrei St. Joseph geben sie sich genervt und möchten nichts mehr sagen, verweisen auf frühere Interviews mit Pfarrer Peter Bösendorfer (47). Für den ist das Fritzl-Haus ein unverzichtbares Mahnmal geworden, sagt er dann doch. "Gibt es absolut böse Menschen oder gar den Teufel in Menschengestalt? Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Weil man darum immer wieder neu ringen muss."

Der Pfarrer beschreibt seine Gefühle: "Immer wenn ich an dem Haus vorbeikomme, dann frage ich mich, wie es der Familie geht. Viele Amstettener fragen sich das auch. Die Familie Fritzl hat in den Gebeten unserer Gemeinde immer einen festen Platz. Wir werden nie vergessen und das Thema Missbrauch und Gewalt auch nicht. Es brennt in uns!"

Das Fritzl-Haus als Mahnmal - und alles wird gut? Bäcker Günther Pramreiter, ein Nachbar von Fritzl, berichtet: "Der Josef hat hier immer seine Semmeln gekauft. Wir haben im Eck auch öfter Karten gespielt. Das war alles unfassbar für uns. Auch was die Medien da aufgeführt haben." Pramreiter erzählt diese Geschichte heute noch mit Kopfschütteln. Ein Fernsehmann aus den USA habe ihm einen Koffer hingestellt und gesagt, dass eine Million Dollar drin seien. "Ich wüsste doch garantiert, wo Bilder, Fotos und Filme von Fritzl zu holen seien. Wenn ich die beschaffte, wäre das Geld für mich."

Pramreiter redet sich in Rage. " Wir fühlen uns allesamt verletzt, weil die Welt mit den Fingern auf uns gezeigt hat, so nach dem Motto: Das stimmt doch nicht, dass das niemand bemerkt hat!", schimpft er. "Das hat uns wütend und betroffen gemacht. Viele schämen sich. Mir haben Kunden erzählt, dass sie nicht mit ihrem Auto in den Urlaub gefahren sind. Sie wollten nicht an ihrem Kennzeichen ,AM' erkannt werden." Davon weiß auch die Tierärztin Judith Drack aus Linz zu berichten. " Ich habe Kunden aus Amstetten, die leihen sich Autos von Freunden ohne AM-Kennzeichen, bevor sie zu mir kommen."