(ALB-)TRÄUME Der irakische Exil-Autor Hussain Al-Mozany schreibt im Abendblatt: mein Hoffen auf Saddams Sturz, meine Angst um Bagdad. Manchmal, wenn ich durch Geräusche oder einen Albtraum nachts aufwache, schalte ich das Radio ein und stelle fest, dass der Senderanzeiger der Kurzwelle sich durch meine hastige Handbewegung in der Dunkelheit leicht verschiebt. Durch das Stimmengewirr vernehme ich immer wieder den einen Namen, der seit Jahrzehnten mich und die ganze Welt in Schrecken versetzt: Saddam Hussein. Bei der schlaftrunkenen Sendersuche erwische ich zufällig chinesische, russische, persische oder englische Nachrichtensprecher, die diesen Namen unentwegt wiederholen. Ich versuche natürlich das Radio leise zu stellen, um meine Frau und meine beiden Kinder nicht zu wecken. Mich packt die eigentümliche Vorstellung, die Mitteilungen aus dem Radio gälten mir allein. Ich könnte etwas verpasst haben, Saddams Entmachtung, seinen Sturz etwa mitten in der Nacht, und ich frage mich, wenn die Radiosprecher mich wieder enttäuschen, wie dieser Mann mit den schlimmsten Eigenschaften diesem Druck überhaupt widerstehen kann. Könnte er nicht unter anderen Umständen als einer von vielen Tyrannen einsam und verloren dahinscheiden? Tag für Tag, Jahr für Jahr verfolge ich schon diesen zweifelhaften Ritus des nächtlichen Meldungenhörens. Inzwischen sind 25 Jahre verstrichen, und die entscheidende Nachricht kam nicht, so dass ich gelegentlich fürchte, in der Verbannung zu sterben, ohne je die erlösenden Worte von Saddams Sturz gehört zu haben. Oft stattet er mir in meinen Träumen Besuche ab, wobei ich mich vor meiner Wohnungstür in Bagdad umgeben sehe von seinen Schergen, die mich verhaften, des Verrats bezichtigen oder hinrichten wollten. Mehrere Male habe ich die Strecke vom Zentrum in Badgad bis nach Berlin-Kreuzberg oder zur Lambertikirche in Münster in einem einzigen Atemzug zurückgelegt. Anfangs dachte ich, nur ich sei solchen nächtlichen Verfolgungsvisionen ausgesetzt, später aber erfuhr ich, dass sie der gemeinsame Mahr aller Exiliraker sind. Und dennoch sind all diese Vorstellungen alltägliche Realität im Irak. Bereits 1976 erschütterte mich die Nachricht über die Verhaftung des irakischen Fußballnationalspielers Baschir Raschid, mit dessen Familie meine Großmutter befreundet war. Der Vorwurf lautete Mitgliedschaft in einer kommunistischen Organisation - das war für Polizeiangehörige wie Raschid natürlich verboten. Meine Großmutter kam aufgebracht zu mir und schrie mich an: "Saddam verhaftet euch, und eure Partei und die Union der Verdammten" - sie meinte die zerfallene Sowjetunion - "schauen tatenlos zu?" Baschir Raschid und weitere 20 Sportler wurden im April 1978 hingerichtet. Damals gab es in Bagdad eine unglückliche Koalition zwischen Baathisten und Kommunisten; die Kommunisten stellten zwei Ministerposten. Nach der Verhaftungswelle trat ich aus der kommunistischen Partei aus und schwor, niemals in meinem Leben mehr einer Partei anzugehören. Das Allerschlimmste, was einem Menschen meiner Überzeugung nach widerfahren kann, ist, irgendeiner Ideologie zu erliegen. Nun, wo der "Tag der Entscheidung" naht, verlasse ich mich weniger auf die Stundenfrist des amerikanischen Präsidenten, sondern eher auf die sich anbahnenden Magenkrämpfe. Wie hoch wird der Preis der "Befreiung" sein? Nach Bushs Rede sagte meine Tochter zu mir: "Wenn die Amerikaner Bagdad angreifen, dann wird meine Oma sterben." Meine Tochter, die neun Jahre alt ist, hat ihre Großmutter noch nie gesehen. Ich versuchte, die Gefahr vor ihr herunterzuspielen, sagte ihr, die Großmutter wohne ja am Rande der Stadt, fern von den gefährdeten Regierungsbezirken, aber in Wirklichkeit bezieht ausgerechnet die grausame Saddam-getreueste Republikanische Garde dort Position, befehligt von Kussai, Saddams Sohn, der seinem Vater an Grausamkeit nicht nachsteht. Wenn der Krieg erst einmal vorüber ist, versuchte ich meine Tochter zu beschwichtigen, dann besteht die Möglichkeit, Großmutter zu besuchen in Bagdad, der Märchenstadt, in deren Mauern mein Gedächtnis zurückgeblieben ist, als ob die Exiljahre lediglich eine Restzeit waren. Ich male mir den Vollmond aus, in dessen hellem Schein die Bomben niederfallen, und wage kaum, an die Kollateralschäden zu denken. Ich sehe den Tigris, der unzählige Reiche und Dynastien, viele Kriege und Eroberungen überdauerte, und seine Brücken, die als erstes Kriegsziel herhalten werden, ins Flussbett stürzen, ohne dass ich sie noch einmal überqueren konnte.