Der geflohene Dissident hat die US-Botschaft in Peking verlassen, sei aber nicht freiwillig in Peking geblieben. Er habe sich Drohungen gebeugt.

Peking. Der blinde chinesische Dissident Chen Guangcheng hat die US-Botschaft in Peking verlassen, kurz darauf aber schwere Vorwürfe gegen die chinesischen Behörden erhoben. In einem Telefongespräch sagte er aus dem Krankenhaus, chinesische Stellen hätten damit gedroht, seine Frau totzuschlagen, sollte er nicht aus der Botschaft kommen. Damit schien eine der schwersten diplomatischen Krisen zwischen Peking und Washington in eine weitere Runde zu gehen.

US-Diplomaten sagten, sie hätten keine Kenntnis von einer Todesdrohung gegen Chens Frau. Chen sagte dagegen, US-Beamte hätten ihm diese Drohung übermittelt.

Den Schutz der US-Diplomaten hatte Chen zuvor verlassen, nachdem ihm Sicherheitszusagen gemacht wurden. Er sollte medizinische Versorgung erhalten, mit seiner Familie wiedervereint werden und eine Universitätsausbildung in einer sicheren Umgebung absolvieren können. Nun fürchte er aber um seine Sicherheit und wolle China verlassen, sagte er am Telefon.

Zuvor hatte bereits eine enge Vertraute Chens Zweifel an der Darstellung gesät, es entspreche Chens Wünschen, in China zu bleiben. Erst auf massiven Druck der chinesischen Führung habe er sich für einen Verbleib in seinem Heimatland entschieden, berichtete Zeng Jinyan. Der Aktivist sei vor die Wahl gestellt worden, alleine ins Exil zu gehen oder bei seiner Familie zu bleiben.

Sie habe mit Chen und seiner Frau telefoniert, während sie im Krankenhaus waren, wo sie zusammentreffen sollten, sagte Zeng. Chen habe enttäuscht geklungen und erzählt, das Leben seiner Frau sei bedroht worden. „Er sagte, er habe etwas völlig anderes gewollt, aber weil niemand die Sicherheit seiner Frau und seiner Kinder garantieren“ könne, habe er das Angebot annehmen müssen, sagte Zeng.

Zuvor hatte US-Botschafter Gary Locke den blinden Aktivisten in ein Krankenhaus begleitet, wo die auf der Flucht erlittenen Verletzungen des 40-Jährigen behandelt werden sollten. Chinesische Aktivisten und Menschenrechtsanwälte sorgen sich allerdings um die Einhaltung der Zusagen. „Schlussendlich mangelt es noch immer an Rechtsstaatlichkeit. Denken sie nur daran, wie lange sie ihn illegal unter Hausarrest halten konnten“, sagte der Anwalt Li Fangping. „Ich denke, wir müssen die Situation beobachten, um zu sehen, ob er nach alledem wirklich in freikommt. Persönlich glaube ich nicht daran.“ US-Außenministerin Hillary Clinton teilte mit, die USA würden über die Einhaltung der Zusagen wachen.

Nach vier Jahren Gefängnis hatte Chen in einem Dorf 20 Monate zusammen mit seiner Frau, Tochter und Mutter unter Hausarrest verbracht. Er hatte Probleme mit den örtlichen Behörden bekommen, weil er Zwangsabtreibungen öffentlich gemacht hatte.

Belastung für amerikanisch-chinesische Beziehungen

Die Flucht Chens aus 20-monatigem Hausarrest in die US-Botschaft hatte vor sechs Tagen für diplomatische Verwicklungen im amerikanisch-chinesischen Verhältnis gesorgt. Der Vorfall droht nun, die Agenda für die ab Donnerstag geplanten jährlichen strategischen Gespräche zwischen China und den USA über den Haufen zu werfen. Statt über das massive Handelsungleichgewicht, Nordkorea und Syrien müssen sich US-Außenministerin Hillary Clinton und US-Finanzminister Timothy Geithner mit ihren chinesischen Gesprächspartnern nun wohl über Menschenrechtsfragen austauschen.

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Das chinesische Außenministerium kritisierte den amerikanischen Schutz für Chen als „eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas, die wir niemals akzeptieren werden“, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua Außenamtssprecher Liu Weimin. Er forderte eine Entschuldigung vonseiten der USA und Ermittlungen.

Aus US-Diplomatenkreisen verlautete dazu: „Das war ein außerordentlicher Fall mit außerordentlichen Umständen. Wir erwarten nicht, dass sich das wiederholt.“ Die Mitarbeiter hätten rechtstreu und im Einklang mit den Richtlinien gehandelt, hieß es, was darauf hindeutet, dass kein Anlass für eine Entschuldigung gesehen wird. (dapd/abendblatt.de)