71 Tote bei Anschlag auf einen Schnellzug. In 20 der 29 Bundesstaaten des Subkontinents haben die militanten Kommunisten viele Anhänger.

Hamburg/Kalkutta. Mitten in der Nacht, um 1.30 Uhr, wurden die Passagiere des Schnellzuges von Kalkutta nach Mumbai durch einen lauten Knall aus dem Schlaf gerissen. Dann, so berichteten Augenzeugen später, wurde der ganze Zug durchgeschüttelt. 13 Waggons entgleisten, davon stürzten fünf auf ein Parallelgleis. Kurz darauf raste ein entgegenkommender Güterzug in die Waggons. Mindestens 71 Menschen starben in dem Inferno. Mehr als 200 wurden verletzt.

Am Unglücksort herrschten Chaos und Panik. Noch zehn Stunden nach dem Unglück versuchten Rettungskräfte, Überlebende aus den ineinander verkeilten Waggons zu befreien. Armeehubschrauber flogen Verletzte in umliegende Krankenhäuser. Der Innenstaatssekretär des Unionsstaates West-Bengalen, Samar Gosh, sagte der "Times of India", er rechne damit, dass die Zahl der Todesopfer noch steige. Offiziell blieb zunächst unklar, ob eine Bombenexplosion oder ein herausgetrenntes Gleisstück Ursache dafür waren, dass der "Howrah-Kurla Lokmanya Tilak Gyaneshwari Super Deluxe Express" entgleiste. Möglicherweise beides. Die indische Eisenbahnministerin Mamata Banerjee, die zu der Unglücksstelle geeilt war, sprach von einer Bombenexplosion. Es sei TNT-Sprengstoff gefunden worden. Außerdem trage die Tat eindeutig die Handschrift maoistischer Rebellen, die in der Gegend aktiv sind. "Ich verurteile diesen Akt der Gewalt", sagte die Ministerin. "Warum diese Menschen Unschuldige töten, weiß ich nicht."

Indien verzweifelt zunehmend am Terror der aufständischen Maoisten. Sie sind inzwischen der gefährlichste innere Feind des Subkontinents, der Nuklearmacht und Armenhaus zugleich ist. Premierminister Manmohan Singh sieht in ihnen die "größte Bedrohung für die innere Sicherheit". Die Maoisten selbst spielen sich als Rächer und Interessenwahrer der benachteiligten Bevölkerungsschichten und landloser Bauern auf, die nicht vom Wirtschaftsboom des Schwellenlandes profitieren. Nach Angaben indischer Geheimdienste verfügt die Bewegung über nur rund 50 000 Mitglieder und 20 000 Kämpfer in 20 der 29 indischen Unionsstaaten. Inzwischen aber haben die Maoisten die Adivasis, die 80 Millionen Ureinwohner Indiens, die kaum über eigenes Land verfügen, zur ihrer Basis gemacht. Die Adivasis stehen in der indischen Kastengesellschaft ganz unten, auf einer Stufe mit den Unberührbaren. "Wir können sie nicht mit Gewalt bezwingen, es sind zu viele", sagen viele Abgeordnete der regierenden Kongresspartei.

Seit 1967 bekämpfen die Maoisten die indische Regierung, als die Polizei in dem Dorf Naxalbari in West-Bengalen einen Aufstand niederschlug. Seither werden die Rebellen auch als "Naxaliten" bezeichnet. Sie finanzieren sich hauptsächlich durch Entführungen, Erpressung und Plünderungen und werden von Nepal und China mit Waffen ausgerüstet. Ihre Anschläge richten sich vor allem gegen Einrichtungen der Sicherheitskräfte, Eisenbahnschienen, Schulen und Regierungsgebäude. Allein im vergangenen Jahr starben dabei fast 1000 Menschen. Die Militanten hatten erst kürzlich als Reaktion auf eine Regierungsoffensive vor neuen Anschlägen und "schwarzen Tagen" gewarnt.

Der Polizeichef von West-Bengalen, Bhupinder Singh, erklärte, in der Nähe des Tatorts seien Poster einer Gruppe mit dem Namen Volkskomitee gegen Polizeigrausamkeiten gefunden worden, in der sich die Gruppe zu dem Anschlag bekenne. Die Organisation soll eng mit den maoistischen Rebellen verbunden sein. Ein Sprecher der Gruppe wies diese Angaben in einem Gespräch mit der indischen Nachrichtenagentur PTI zurück. "Wir haben in keiner Weise damit zu tun. Das ist nicht unsere Tat", sagte er.