Minister für mögliche Einschränkung der Reisefreiheit in Europa. Einigung gestern in Luxemburg auf Neufassung des Abkommens.

Luxemburg. Im Ringen um die Reform des Schengen-Abkommens über die Reisefreiheit in Europa haben sich die EU-Mitgliedstaaten vorerst über den Willen der EU-Kommission in Brüssel hinweggesetzt. Die Innenminister einigten sich gestern in Luxemburg auf eine Neufassung des Abkommens. Demnach dürfen die einzelnen Regierungen weiter nach eigenem Ermessen über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen entscheiden dürfen. Die Kommission hatte nationale Alleingänge verhindertn wollen.

Zudem soll ein "Notfallmechanismus" eingeführt werden, wonach einzelne Mitgliedstaaten als "letzten Ausweg" ihre Grenzen dichtmachen können, falls ein anderer EU-Staat die Kontrolle seiner Außengrenzen dauerhaft vernachlässigt. Höchstdauer der Maßnahme: zwei Jahre. Grundsätzlich gilt: Sieht ein Land seine "öffentliche Ordnung und innere Sicherheit" ernsthaft gefährdet, muss es die EU-Kommission und die anderen Schengen-Staaten wie bisher lediglich informieren, bevor es seine Grenzen dichtmacht. Frankreich etwa führte während des Nato-Gipfels 2009 aus Angst vor gewaltbereiten Demonstranten wieder Passkontrollen an der deutschen Grenze ein, Polen hat dies vor der Fußball-Europameisterschaft ebenfalls getan.

+++ Bundesregierung will Grenzkontrollen als "ultima ratio" +++

Bei absehbaren Großereignissen sind derartige Verschärfungen für maximal sechs Monate möglich. Bei unvorhersehbaren, "außergewöhnlichen Umständen" wie Terroranschlägen dürfen die Schlagbäume höchstens zwei Monate unten bleiben. Von dieser Möglichkeit machte Norwegen nach der Mordserie des Attentäters Anders Behring Breivik Gebrauch. All diese Einschränkungen waren schon bisher im nationalen Alleingang möglich und sollen es nach dem Willen der Mitgliedstaaten auch bleiben.

Will ein Land dagegen nach der neuen Notfallklausel seine Binnengrenzen für bis zu zwei Jahre schließen - etwa wegen massiver Flüchtlingsströme - ist das Prozedere aufwendiger. Zunächst bekäme ein bei der Kontrolle seiner Schengen-Außengrenzen säumiges Land drei Monate Zeit eingeräumt, um die Mängel zu beheben. Erst wenn das nicht fruchtet, könnte es zu Grenzkontrollen kommen.

In Diplomatenkreisen hieß es, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) habe sich mit seiner Linie "ganz klar durchgesetzt". Tatsächlich stammt der verabschiedete Entwurf aus deutsch-französischer Feder: Friedrich und sein damaliger Pariser Kollege Claude Guéant hatten schon vor zwei Monaten gemeinsam gefordert, die Binnengrenzen notfalls schließen zu dürfen, wenn ein Land beim Schutz seiner Außengrenzen schludert. Den Anlass dazu lieferte der Arabische Frühling vor einem Jahr, in dessen Folge Tausende Flüchtlinge aus Nordafrika nach Europa drängten. Allein 55 000 illegale Einwanderer wurden 2011 an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland aufgegriffen.

Am Schengen-Abkommen beteiligen sich fast alle EU-Staaten außer Großbritannien, Irland und Zypern. Bulgarien und Rumänien erfüllen die Bedingungen aber noch nicht. Dafür machen die Nicht-EU-Staaten Norwegen, Island und die Schweiz mit. Insgesamt haben 26 Länder die Schengen-Verträge unterzeichnet.