Kontrollen an nationalen Grenzen sollen für einen begrenzten Zeitraum wieder möglich werden. Das fordern Deutschland und Frankreich.

Berlin/Paris/Brüssel. Die Bundesregierung will sich in Brüssel dafür stark machen, zeitlich begrenzte Kontrollen an den Grenzen der Staaten des Schengen-Raums zuzulassen. In den Ressorts sei man darüber „absolut einmütig“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Die Grenzkontrollen sollen nach Angaben des Bundesinnenministeriums möglich sein, wenn einzelne Staaten der Kontrolle an den Außengrenzen nicht ausreichend nachkommen.

Der Streit über die Kompetenzen der Staaten innerhalb des Schengen-Abkommens schwelt schon länger. Einige Staaten wie Deutschland wollen dabei keine Macht an die EU-Kommission abgeben.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte am Freitag über einen Brief von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und seinem französischen Amtskollegen Claude Guéant berichtet, in dem sich beide Minister für nationale Grenzkontrollen aussprechen. Die Regierungen der Staaten sollten „die Möglichkeit einer auf 30 Tage befristeten Wiedereinführung der Binnen-Grenzkontrollen haben“, zitiert die Zeitung aus dem Schreiben. Innerhalb des Schengen-Raums werden Reisende an den Grenzen in der Regel nicht kontrolliert.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies mit Blick auf die Initiative Deutschlands und Frankreichs am Freitag auf die Einreise illegaler Einwanderer. Details über die konkrete Ausgestaltung beispielsweise der 30-Tage-Regelung seien noch nicht klar, sagte er. Der Entwurf soll am Donnerstag bei einem Treffen der EU-Innenminister beraten werden.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts betonte, der Wunsch, nationale Grenzkontrollen in zeitlich eng abgesteckten Räumen zuzulassen, widerspreche nicht dem Ziel, die Reisefreiheit zu erhalten und zu verteidigen. Er betonte, dass es darüber auch keinen Dissens mit dem Bundesinnenministerium gebe.

Kritik kam dagegen von FDP-Europapolitikern. Der Vorsitzende der Gruppe der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, unterstellte Friedrich bei „Spiegel Online“ Wahlkampfhilfe für den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der FDP-Europapolitiker Michael Theurer sagte dem Online-Portal: „Wer die Axt an die Freizügigkeit legt, versündigt sich an der europäischen Einigung.“

Vertreter von SPD und Grünen im Bundestag reagierten empört auf den Vorstoß und unterstellten Friedrich ebenfalls Wahlkampfhilfe für Sarkozy. „Mögliche Flüchtlingsprobleme lassen sich auf diese Weise nicht lösen“, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Christine Lambrecht. Josef Winkler von den Grünen nannte den gemeinsamen Brief der Minister „ein populistisches und europafeindliches Signal“.

Westerwelle: An Reisefreiheit wird nicht gerüttelt

Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) stellte klar, dass an der Reisefreiheit grundsätzlich nicht gerüttelt werde. „Die Reisefreiheit ist eine der wichtigsten und für die Bürger erlebbaren Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses“, erklärte Westerwelle am Freitag in Karlsruhe. „Eine Infragestellung der Reisefreiheit kommt für die Bundesregierung ebenso wenig in Betracht wie eine Renationalisierung.“

+++ Deutschland und Frankreich wollen wieder Grenzkontrollen +++

Aus dem Umfeld Westerwelles hieß es am Freitag, der Außenminister sei alles andere als glücklich über das Timing des Briefes wenige Tage vor den französischen Präsidentschaftswahlen. Westerwelle hatte wiederholt vor zu viel deutscher Einmischung in den Wahlkampf des Nachbarlandes gewarnt und zur Zurückhaltung gemahnt.

EU-Kommission beharrt auf ihren Schengen-Vorschlägen

Die EU-Kommission ist ebenfalls gegen den gemeinsamen Vorstoß Deutschlands und Frankreichs, den Regierungen die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum für bis zu 30 Tage zu erlauben. „Wir versuchen, europäische Entscheidungen zu garantieren“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Freitag in Brüssel. Die Kommission halte an ihren Vorschlägen, das kontrollfreie Überschreiten von Grenzen unter eine stärkere EU-Kontrolle zu stellen fest: „Wir wollen mehr Europa in Schengen.“

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich und sein französischer Kollege Claude Guéant hatten in einem gemeinsamen Brief gefordert, die Regierungen müssten im Fall von Problemen die Grenzkontrollen für einen Zeitraum bis zu 30 Tagen wieder einführen können.

Spanien will wegen eines in Barcelona anberaumten Treffen der Europäischen Zentralbank (EZB) im kommenden Monat kurzfristig wieder Grenzkontrollen einführen. Das Schengen-Abkommen zur Reisefreiheit werde kurz vor und während der Veranstaltung am 3. Mai ausgesetzt, teilte ein Vertreter des Innenministeriums am Freitag mit. Als Grund für den Schritt gilt ein erwarteter Ansturm vor allem aus Italien und Griechenland stammender Demonstranten, wo die Bevölkerungen Sparmaßnahmen ihrer Regierungen kritisieren. Der EZB-Rat tagt regelmäßig außerhalb der Zentrale in Frankfurt am Main.

Hintergrund: Der Schengen-Raum – offene Grenzen und Ausnahmen

Das Abkommen von Schengen in Luxemburg beseitigte 1985 zunächst die Schlagbäume zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern. Heute gehören 26 Staaten zum Schengengebiet ohne Kontrolle der Binnengrenzen. Neben 22 EU-Ländern (alle außer Irland, Großbritannien, Zypern, Bulgarien und Rumänien) sind das Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein. Die Landgrenzen des Schengen-Raums mit mehr als 400 Millionen Einwohnern sind mehr als 7700 Kilometer lang, die Seegrenzen knapp 42 700 Kilometer.

Der Schengen-Grenzkodex reguliert die praktische Arbeit. Darin werden auch Voraussetzungen genannt, unter denen ein Staat vorübergehend wieder Kontrollen einführen darf. Nach Artikel 23 kann ein Land „im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ für einen begrenzten Zeitraum an seinen Grenzen ausnahmsweise wieder Personen kontrollieren. Die Maßnahmen dürfen höchstens 30 Tage gelten oder so lange, wie die „schwerwiegende Bedrohung“ andauert. Artikel 24 verpflichtet den Staat dazu, die anderen Mitgliedsländer und die EU-Kommission darüber zu informieren und die Gründe zu erläutern.

Die Schengen-Staaten nutzten diese Klausel zum Beispiel, um vor großen Sportveranstaltungen oder politischen Ereignissen zu kontrollieren. So wurde zum Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden

2009 das Schengen-Abkommen an der deutsch-französischen Grenze außer Kraft gesetzt. Auch während der Fußball-EM in der Ukraine und Polen wird an der deutsch-polnischen Grenze vorübergehend wieder kontrolliert.

Nach der Flüchtlingswelle aus Nordafrika Anfang 2011 hatten vor allem Italien und Frankreich eine Reform des Vertragstextes gefordert, um Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Als Dänemark im Sommer 2011 kurzzeitig wieder seine Grenzen nach Deutschland und Schweden kontrollieren wollte, gab es heftige Proteste der Bundesregierung. Mit Material von dpa, dapd und epd