Tel Aviv. Vom Vorhaben der Mullahs, den Erzfeind anzugreifen, erfuhr Israel offenbar durch die Saudis. Die haben gute Gründe für diesen Verrat.

Erst klang es nach einem Märchen: Ausgerechnet das mit Israel verfeindete Saudi-Arabien soll geholfen haben, die schweren Angriffe aus dem Iran in der Nacht auf Sonntag abzuwehren. Es waren die ersten Angriffe von Israels Erzfeind, die direkt von iranischem Boden aus gestartet wurden. Bisher hatte Teheran stets auf seine Stellvertreter-Milizen in Syrien, dem Libanon, Jemen und im Irak zurückgegriffen.

Ob Saudi-Arabien tatsächlich während der stundenlangen Drohnen- und Raketenangriffe auf Israel im Defensivbündnis mitgewirkt hat, ist nicht gesichert. Die Rolle der Saudis ist undurchsichtig. Auf die Frage, wer außer Jordanien und den westlichen Verbündeten Israel beim Angriff des Iran noch unterstützt hat, gab der Sprecher der israelischen Armee keine Antwort.

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Das Regime in Saudi-Arabien soll nach Informationen der „Washington Post“ aber den entscheidenden Hinweis gegeben haben, der es Israel, den USA und weiteren Unterstützerstaaten ermöglichte, sich auf den drohenden Angriff vorzubereiten. Und zwar durch einen brisanten Leak.

Saudi-Arabien hat eigenes Interesse daran, Irans Macht einzudämmen

Zur Vorgeschichte: Der Iran hatte Israel beschuldigt, bei einem Angriff auf das iranische Konsulatsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus zwei iranische Top-Generäle und sieben weitere Personen getötet zu haben. Teheran drohte daraufhin mit Rache. Doch kaum jemand rechnete damit, dass der Iran den Tabubruch wagen würde, selbst Drohnen und Raketen auf Israel abzufeuern. Man erwartete, dass er seine Stellvertreter-Milizen im Libanon oder in Syrien aktivieren würde.

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman (r.) mit US-Außenminister Antony Blinken im März. Gab Riad den entscheidenen Hinweis auf einen bevorstehenden Angriff?
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman (r.) mit US-Außenminister Antony Blinken im März. Gab Riad den entscheidenen Hinweis auf einen bevorstehenden Angriff? © AFP | Evelyn Hockstein

Dann weihte die Führung im Iran jedoch mehrere Golfstaaten und den Irak in seine Pläne ein, einen Angriff mit Boden-Boden-Raketen und Marschflugkörpern von iranischem Territorium aus zu starten. Kurz vor dem Wochenende soll Saudi-Arabien diese Information mit den USA geteilt haben – im Wissen, dass Washington sofort Israel vorwarnen würde. Es gibt außerdem Hinweise, dass die Saudis den westlichen Verbündeten Infrastruktur zur Verfügung stellten, die für das Gelingen des Abwehreinsatzes am Sonntag entscheidend war – etwa die Möglichkeit, auf saudischem Boden Kampfjets aufzutanken.

Die Saudis haben ein steigendes Interesse daran, die zunehmend zerstörerische Kraft des Iran einzudämmen. Dass Teheran nicht davor zurückschreckt, nach Belieben Marschflugkörper und Drohnen einzusetzen, musste Saudi-Arabien im Jahr 2019 selbst erfahren, als der Iran eine saudische Ölverarbeitungsanlage angriff.

Sollte Angriff der Hamas auch einen Annäherungsprozess torpedieren?

Die Idee, eine gemeinsame Front gegen den Iran zu bilden, die auch Israel miteinschließt, ist viel älter als der Krieg in Gaza. Bereits seit Jahren finden verdeckte Verhandlungen zwischen israelischen und saudischen Vertretern statt, meist über US-Vermittlung. Im vergangenen Jahr soll ein Annäherungsprozess zwischen Israel und Saudi-Arabien große Fortschritte gemacht haben. Offenbar standen Israels Premier Benjamin Netanjahu und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman vor einem historischen Coup zur Normalisierung ihrer Beziehung.

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    Manche Experten gehen davon aus, dass die Hamas die Attacken vom 7. Oktober auch startete, um diesen Annäherungsprozess zu stoppen. Im letzten halben Jahr sah es danach aus, als wäre das gelungen. Jetzt aber – nach dem iranischen Angriff – sind die Karten neu gemischt.

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    Bei einer Eskalation würden alle verlieren – auch Saudi-Arabien

    „Saudi-Arabien hat ein Eigeninteresse daran, dass die Lage in der Region nicht eskaliert“ , sagt Andreas Reinicke, Chef des Deutschen Orient-Instituts und früherer Botschafter, der einige Jahre auch das deutsche Vertretungsbüro bei der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah geleitet hat. „Die Folgen des Konflikts könnten weitreichend sein, und am Ende würden alle verlieren – auch Saudi-Arabien“, so Reinicke.

    Öffentlich kann Riad Israel nicht unterstützen, dafür ist der innenpolitische Druck zu groß. „Deshalb halte ich eine Beteiligung Saudi-Arabiens an einem möglichen Gegenschlag für unwahrscheinlich“, so der Experte. „Saudi-Arabien fürchtet den direkten Konflikt mit Iran.“ Grundsätzlich habe das Land zwar ein Interesse an einer Annäherung an Israel, doch nach dem 7. Oktober sei das ohne eine Lösung des Palästina-Konflikts nicht mehr denkbar.