Berlin. Philipp Türmer und Sarah Mohamed konkurrieren um den Juso-Vorsitz. Beide bringt die Politik von Kanzler Scholz in Rage.

Geht es nach Philipp Türmer und Sarah Mohamed, wird es bald deutlich unruhiger in der SPD, für die Ampel-Koalition – und für Olaf Scholz. Der 27-jährige Hesse Türmer und die 31-jährige Mohamed aus Nordrhein-Westfalen kandidieren für den Vorsitz der Jusos. Egal, wer die Wahl auf dem Juso-Bundeskongress am Freitag in Braunschweig gewinnt, beide wollen den Positionen des SPD-Nachwuchses wieder nachdrücklich Gehör verschaffen. Besonders in den Ohren des Bundeskanzlers.

„Die Jusos sind in den vergangenen zwei Jahren zu brav gewesen. Wir müssen lauter und eigenständiger werden“, sagt der bisherige Juso-Vize Türmer im Gespräch mit dieser Redaktion. „Ich halte es für dringend notwendig, dass wir Jusos den Kanzler und seine Linie ab sofort deutlich kritischer begleiten. Darauf muss sich Olaf Scholz gefasst machen“, sagt der Offenbacher.

Die Kandidaten für den Juso-Vorsitz machen eine Kampfansage an Kanzler Olaf Scholz.
Die Kandidaten für den Juso-Vorsitz machen eine Kampfansage an Kanzler Olaf Scholz. © DPA Images | Melissa Erichsen

Jusos: „Wir müssen lauter, linker und kritischer sein“

Gegenkandidatin Mohamed macht ebenfalls eine Kampfansage: „Ich will, dass die Jusos wieder eine kritischere Haltung gegenüber der SPD und gegenüber der Ampel-Regierung einnehmen“, sagt die Bonnerin dieser Redaktion. „Wir müssen lauter, linker und kritischer sein und die SPD und den Kanzler vorantreiben.“ Für Mohamed ist außerdem wichtig: „Ich will neben dem Kampf in den Parlamenten außerdem den Kampf auf der Straße wieder stärken.“ Sie denkt dabei an gemeinsame Demonstrationen mit Gewerkschaften und an einen engen Schulterschluss mit der Klimabewegung.

In den vergangenen zwei Jahren stand die Bonner Bundestagsabgeordnete Jessica Rosenthal an der Spitze der Jusos. Sie hatte im August angekündigt, bei dem Bundeskongress nicht erneut zu kandidieren, da sie ihr erstes Kind erwarte. Rosenthal war im Januar 2021 zur Chefin der SPD-Nachwuchsorganisation gewählt worden.

Kühnert bestimmte als Juso-Chef das Geschehen in der SPD maßgeblich

Sie übernahm das Amt von Kevin Kühnert, der auf dem Posten neue Maßstäbe gesetzt und das Geschehen in der damals schwer angeschlagenen SPD maßgeblich mitbestimmt hatte. Das Beispiel Kühnert zeigt, dass die Macht des Juso-Vorsitzes stark davon abhängt, was der Amtsinhaber daraus macht. Und: Der Posten kann ein Karrieresprungbrett sein. Gerhard Schröder und Andrea Nahles standen einmal an der Spitze des Verbands. Kühnert ist heute SPD-Generalsekretär.

Rosenthal fiel es nicht nur schwer, aus dem Schatten des politischen Megatalents Kühnert herauszutreten. Der Bundestagswahlsieg der SPD und die Wahl von Olaf Scholz zum Kanzler schweißten die Partei zusammen, es herrschte Burgfrieden – da war es nicht so einfach, die rebellische Kühnert-Linie aus Groko-Zeiten fortzusetzen. Rosenthal gehörte innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion zu den Gegnern des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr, setzte sich vehement für das Bürgergeld und eine Kindergrundsicherung ein. Den großen Krach suchte sie aber nicht, wenn die Politik der Ampel den Jusos gegen den Strich ging.

ParteiSozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Gründung23. Mai 1863
IdeologieSozialdemokratie, Sozialstaat, Europäische Integration
VorsitzendeSaskia Esken und Lars Klingbeil (Stand: April 2023)
Fraktionsstärke206 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023)
Bekannte MitgliederOlaf Scholz, Karl Lauterbach, Frank-Walter Steinmeier

„Ich könnte kotzen“ – beim SPD-Nachwuchs rumort es

Bei den Jungsozialisten rumort es allerdings zur Halbzeit der Legislaturperiode. Ein Grund war zuletzt die schärfere Linie der Ampel-Koalition in der Migrationspolitik. Als der Kanzler mit ernstem Blick und der Ansage „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ diesen neuen Kurs auf dem „Spiegel“-Cover einleitete, kommentierte Türmer: „Ich könnte kotzen bei diesem Zitat.“

Türmer hält es für falsch, dass die Ampel, ihr Kanzler und die SPD-Innenministerin Nancy Faeser auf mehr und schneller Abschiebungen setzen. „Wir Sozialdemokraten sollten mit unserer Politik nie nach unten treten auf die Schwächsten. Das verrät unsere Werte“, sagt der Jura-Doktorand. „Das werfe ich nicht nur Nancy Faeser vor, sondern auch dem Kanzler, der die Leitlinien der Regierungspolitik bestimmt.“

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Gegen die Schuldenbremse, für höhere Steuern für Reiche

Auch Mohamed reagierte entsetzt auf das Kanzler-Zitat: „Das darf nicht die Sprache eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers sein!“, schrieb sie auf der Plattform X. „Die SPD, Olaf Scholz und Nancy Faeser haben in der Asyl- und Migrationsfrage rote Linien überschritten“, kritisiert Mohamed, deren Vater einst aus Somalia floh. „Die SPD darf sich nicht an rassistischer Hetze gegenüber Migrantinnen und Migranten sowie Schutzsuchenden beteiligen.“

Auch bei der Sozialpolitik der Koalition sehen beide Bewerber große Defizite. Sie fordern einen höheren Mindestlohn, Türmer nennt 15 Euro, sowie höhere Steuern auf große Vermögen und Erbschaften. Außerdem soll es ein staatliches Grunderbe geben. „Wir müssen mutiger wieder die Verteilungsfrage stellen“, fordert Türmer. „Im Moment lassen die SPD und Olaf Scholz zu, dass immer die Schwächsten gegeneinander ausgespielt werden“, kritisiert Mohamed. Beide sind sich zudem einig darin, dass die Schuldenbremse notwendige Investitionen erdrosselt und abgeschafft gehört.

Die erste Kampfkandidatur bei den Jusos seit zehn Jahren

Darin liegt Konfliktpotenzial für die Ampel-Koalition: Für die FDP ist ein Abschied von der Schuldenbremse ausgeschlossen. Anders als Rosenthal gehören Türmer und Mohamed nicht der SPD-Bundestagsfraktion an. Wie einst Kühnert können sie wesentlich freier gegen die Koalition schießen.

Wer von den beiden die Jusos künftig führt, gilt als offen. Ihr Wettstreit ist die erste Kampfkandidatur um den Vorsitz seit 10 Jahren. Mohamed reist mit der Unterstützung des nordrhein-westfälischen Landesverbandes nach Braunschweig. Die NRW-Delegierten machen allein ein Fünftel der Stimmen aus. Türmer kann aber wohl ebenfalls auf viele Unterstützer zählen. Sicher scheint nur ein Satz von Sarah Mohamed zu sein: „Das Verhältnis wird sehr kühl werden zwischen den Jusos und Olaf Scholz.“