Helsinki. An einer Gaspipeline zwischen Finnland und Estland wurde ein Leck ausgemacht. Nun verdichten sich die Hinweise auf einen Angriff.

Ob Energieversorgung, Telekommunikation oder Verkehr: In Deutschland und anderen verbündeten Staaten der Ukraine ist die Sorge vor Anschlägen auf kritische Infrastruktur seit Beginn des russischen Angriffskriegs gewachsen. Rätsel gibt noch immer die Sabotage der deutsch-russischen Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee vor gut einem Jahr auf. Nun rüttelt ein ähnlicher Fall die Europäer auf: Betroffen ist eine Gasröhre zwischen den beiden Nato-Staaten Finnland und Estland.

An der Pipeline Balticconnector ist nach Angaben Helsinkis wahrscheinlich durch „äußere Einwirkung“ ein Schaden entstanden. „Es ist wahrscheinlich, dass der Schaden sowohl an der Gaspipeline als auch an dem Telekommunikationskabel das Ergebnis äußerer Einwirkung ist“, erklärte der finnische Präsident Sauli Niinistö am Dienstag.

Einen weiteren Hinweis darauf lieferte am Dienstag das seismologische Institut Norwegens (Norsar). „Norsar hat am 8. Oktober 2023 um 01.20 Uhr (Ortszeit, 00.20 Uhr MESZ) eine mutmaßliche Explosion vor der finnischen Ostseeküste festgestellt“, erklärte das unabhängige seismologische Institut auf seiner Webseite.

Am frühen Sonntagmorgen war an der Pipeline ein plötzlicher Druckabfall festgestellt worden. Daraufhin wurde durch die Betreibergesellschaften Gasgrid und Eleringer der Gastransport eingestellt, eine Untersuchung wurde eingeleitet. Gasgrid teilte am Dienstag mit, es liege „die begründete Vermutung nahe, dass die Ursache des Vorfalls eine Beschädigung der Offshore-Gas-Pipeline und ein daraus resultierendes Leck waren“. Der Zustand des finnischen Gassystems sei stabil und die Gasversorgung über ein schwimmendes LNG-Terminal gesichert. Das Terminal verfüge über ausreichende Kapazitäten, auch im Winter das benötigte Gas zu liefern.

Der finnische Präsident Niinistö sagte am Nachmittag, er habe mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gesprochen, Finnland sei in konstantem Kontakt mit seinen Verbündeten und Partnern. Finnland sei vorbereitet, zitiert ihn der Sender. „Diese Ereignisse werden keinen Effekt auf unsere Versorgungssicherheit haben.“ Stoltenberg reagierte mit einem Statement auf dem Portal X, ehemals Twitter. „Die NATO tauscht Informationen aus und steht bereit, die betroffenen Bündnispartner zu unterstützen“, erklärte der Norweger.

Eine finnische Zeitung berichtet, dass die Regierung Russland verdächtigt

Die Zeitung „Iltalehti“ berichtete, Regierung und Militär vermuteten, dass Russland die Leitung angegriffen habe. Von Regierungsseite wurde zunächst nichts davon bestätigt.

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Schon am Montag hatte der Gaspreis auf die Einstellung der Lieferung über Balticconnector reagiert und war im Vergleich zum vergangenen Freitag um rund zehn Prozent gestiegen. Am Dienstag kletterte der Preis am richtungweisenden Terminkontrakt TTF an der Börse in Amsterdam noch etwas weiter, auf knapp unter 50 Euro je Megawattstunde (MWh). Von den Rekordpreisen bis über 300 Euro je Megawattstunde, die im vergangenen Jahr erreicht wurden, sind die Preise allerdings noch weit entfernt.

Balticconnector war Anfang 2020 in Betrieb genommen worden. Die rund 150 Kilometer lange Pipeline verläuft vom finnischen Inkoo über den Finnischen Meerbusen bis ins estnische Paldiski, der betroffene Offshore-Abschnitt im Meer ist gut 77 Kilometer lang. Sie ist deutlich kürzer als die Gasleitungen Nord Stream 1 und 2, die vor rund einem Jahr bei Sabotageakten in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm schwer beschädigt wurden. Wer hinter den Nord-Stream-Anschlägen steckt, ist bis heute unklar.

Aktuell deutet wenig darauf hin, dass es natürliche Ursachen für das Leck an der Pipeline Balticconnector geben könnte. Ein heftiger Sturm am Wochenende oder eine Beschädigung der Leitung durch den Wellengang könnten als mögliche Ursachen ausgeschlossen werden, sagte Elering-Vorstandschef Kalle Kiik.

Finnland verfügt über eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war das Land dem westlichen Verteidigungsbündnis Nato beigetreten. Dies gilt als eine bedeutende geopolitische Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine. Die Regierung in Moskau hatte den Nato-Beitritt Finnlands als Angriff auf die eigene Sicherheit kritisiert.

Im vergangenen Jahr wurden bereits die Pipelines Nord Stream 1 und 2 sabotiert

Der Vorfall an der Pipeline von Estland nach Finnland folgt der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines, die Ende September 2022 mutmaßlich durch mehrere Explosionen schwer beschädigt worden waren. Die Hintergründe und Täter sind bis heute ungeklärt. Verschiedene Berichte vermuten die Drahtzieher wahlweise in der Ukraine oder Russland.

Durch die Röhre sollte Erdgas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland gepumpt werden. Die Lecks befinden sich in internationalen Gewässern vor der dänischen Insel Bornholm und der schwedischen Südküste. Die russischen Lieferungen durch die Röhre Nord Stream 1 waren zum Zeitpunkt der Sabotage wegen des Konflikts mit Russland bereits gestoppt. Die Pipeline Nord Stream 2 war seit Monaten fertiggestellt, die Bundesregierung hatte die Inbetriebnahme bereits kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gestoppt.

Das endgültige Aus der russischen Gaslieferungen hatte zu der Energiekrise in Deutschland im vergangenen Jahr beigetragen. Die Bundesregierung bemühte sich im Eiltempo, andere Quellen für Gaslieferungen zu erschließen. Der Fall löste zudem Sorgen um die Verwundbarkeit deutscher und europäischer kritischer Infrastruktur aus. Diese Diskussionen dürften nach den jüngsten Ereignissen an der Pipeline von Estland nach Finnland wieder zunehmen, besonders wenn sich ein erneuter Fall von Sabotage bewahrheiten sollte.