Berlin. Die Ukraine setzt mit amerikanischer Streumunition jetzt Russland unter Druck. Wie sie wirkt und warum die Zahl der Opfer steigen wird.

Es ist die nächste Eskalationsstufe im Ukraine-Krieg. "Seit etwa einer Woche" setzt die Ukraine Streumunition ein. Wie der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, vor Journalisten in Washington erklärte, gingen die ukrainischen Streitkräfte mit der von den Amerikanern gelieferten Munition "angemessen und effektiv“ um. Dies wirke sich bereits auf die russischen Formationen und Manöver aus.

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Die Streumunition kommt der Ukraine, aber auch ihrem westlichen Verbündeten entgegen:

  • Der Ukraine, weil sie die Schlagkraft ihrer Offensive erhöhen wird. Der Kiewer Brigadegeneral Olexander Tarnawski glaubt, dass diese Munition die Lage "radikal" verändern werden, wie er in CNN sagte.
  • Und dem Westen, weil er Probleme hat, Munition in notwendiger Zahl zu liefern. Streumunition haben noch viele Staaten auf Lager; allein schon deshalb, weil sie von über 110 Staaten geächtet und deswegen nicht eingesetzt wurde. Mit ihr überbrückt die Ukraine die Übergangszeit, bis der Westen die Produktion von Munition, vor allem für die Artillerie, hochgefahren hat.

Streumunition: Nur gegen militärische Ziele?

Es gibt verschiedene Typen von Streumunition. Die Ukraine soll keine Bomben oder Raketen, sondern allein Granaten bekommen haben. Jeder von ihnen enthält im Innern viele Strengkörper, so genannte Submunition. Vor dem Aufprall werden sie freigesetzt und verteilen sich auf einer großen Fläche. Im Umkreis von etwa zehn Metern ist jeder dieser Sprengkörper für jeden Soldaten tödlich, der nicht in einem gepanzerten Fahrzeug geschützt ist.

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Die Ukraine hat Mühe, die russischen Schützengräben zu überwinden, wo sich Einheiten verschanzt haben. Gegen sie und gegen nachrückende Verbände können sie effektiver vorgehen. Im Klartext: Den zahlenmäßig überlegenen Russen höhere Verluste beibringen. Der Krieg wird noch einmal blutiger.

Gegen mechanisierte Verbände haben die Ukraine etwa die punktgenauen Himars-Raketen, gegen Panzergrenadiere und Infanteristen nun die Streumunition. Sie hilft auch, wenn man ein Ziel nicht genau ermitteln kann, aber auf jeden Fall angreifen will.

Das Risiko mit der hohen Blindgänger-Quote

Die Ukraine hat seit Langem um solche Munition, aber auch um Phosphorbomben gebeten. Dass die USA jetzt dem Druck nachgegeben haben, erklären sich manche Experten nicht nur mit den Lieferengpässen bei Munition, sondern auch mit dem Zögern der Amerikaner, die versprochenen Kampjets F-16 zu liefern. Nach dieser Lesart wären die Streubomben auch eine politische Ersatzhandlung.

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Rein rechtlich ist die Lieferung zulässig. Weder die USA noch die Ukraine haben das Übereinkommen zur Ächtung der Streumunition unterzeichnet, übrigens auch Russland nicht.

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Sie unterliegt gleichwohl den allgemeinen Regeln der Kriegsführung. Sie sollte erstens nur gegen militärische Ziele eingesetzt werden. Zweitens sollte dabei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Laut dem US-Verteidigungsministerium hat sich die Ukraine verpflichtet, zum einen die Munition nicht in "ziviler Umgebung" einzusetzen und zum anderen genau Buch zu führen. Das wird sie schon aus eigenem Interesse tun. Streumunition hat nämlich eine hohe Blindgängerquote. Laut "New York Times" ist mit einem Ausfall von 2,35 Prozent zu rechnen. Andere reden wiederum von zehn bis 30 Prozent, je nach Typ und Alter der Granaten.

Auch nach einem Frieden bleibt die tödliche Gefahr

Streumunition kann die eigenen Soldaten gefährden, wenn sie eine Stellung erobert haben und nun einnehmen. Das gilt erst recht, auch Jahre später, nach einem Friedensschluss für Zivilisten, beispielsweise für Bauern, die ein Feld beackern wollen. Wer genau Buch geführt hat, der hat es bei Entminungsoperationen ungleich leichter.

Kremlchef Wladimir Putin hat schon angekündigt, im Gegenzug ebenfalls Streumunition einzusetzen. Laut der britischen Recherche-Gruppe "Bellingcat" wäre es kein Novum. Die Russen setzten sie demnach am 8. April 2022 beim Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk ein, wo über 1000 Menschen auf ihre Züge warteten. Der Anschlag forderte 57 Todesopfer. Auf dem Trümmerteil einer Rakete "für die Kinder".

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