Berlin. US-Präsident Biden erwägt die Lieferung von Streumunition an Kiew. Der Westen würde damit seine moralische Glaubwürdigkeit verlieren.

Man kann die Verzweiflung von US-Präsident Joe Biden verstehen. Amerika hat bereits Waffen in Höhe von mehr als 40 Milliarden Dollar an die Ukraine geliefert. Das ist ein Vielfaches im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien. Und dennoch zeichnet sich bei der ukrainischen Gegenoffensive kein schneller Durchbruch ab. Viele westliche Länder hatten auf einen solchen Erfolg gehofft. Nicht zuletzt, um die eigene Bevölkerung bei der militärischen Unterstützung der Ukraine hinter sich zu scharen.

Der ersehnte Vormarsch der ukrainischen Truppen ist ausgeblieben. Der Krieg hat sich zu einer brutalen Abnutzungsschlacht entwickelt. An der Frontlinie gibt es kaum Bewegung. „Es wird um jede Hecke gekämpft“, bilanziert der Militärexperte Carlo Masala.

Die Ukrainer brauchen ihre Flugabwehrsysteme in den Städten

Der Ukraine mangelt es allem an Flugabwehr und Munition. Der russische Präsident Wladimir Putin lässt in seinem zynischen Kriegskalkül gezielt Wohnviertel bombardieren. Die Luftabwehrsysteme, über die die Ukrainer verfügen, werden für den Schutz der Städte gebraucht. Sie fehlen an der Front. Die ukrainischen Verbände kämpfen oft ohne Verteidigung aus der Luft. Jeder Quadratmeter, den die Infanterie-Einheiten vorrücken, ist mit hohen Verlusten erkauft.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Um dieses taktische Manko wettzumachen, erwägt US-Präsident Biden die Lieferung von Streubomben an die Ukraine. Wohlgemerkt: Jede Waffe bringt im Krieg Zerstörung. Aber die Vernichtungskraft von Streumunition ist besonders problematisch. Hier bersten Raketen und Bomben in der Luft über dem Ziel und verstreuen viele kleine Sprengkörper.

Die Blindgänger der Streubomben sind vor allem für die Zivilbevölkerung eine Gefahr

Da nicht alle sofort explodieren, können die Blindgänger noch lange nach ihrem Abwurf Menschen töten oder verletzen. Das ist vor allem für die Zivilbevölkerung eine Gefahr. Besonders tragisch wäre es, wenn Ukrainerinnen oder Ukrainer Opfer von nicht detonierten Bomben der eigenen Armee würden. Vor diesem Hintergrund haben mehr als 100 Staaten im Oslo-Abkommen von 2008 die Lagerung, den Einsatz und die Weitergabe dieser Waffen verboten.

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Die Verschickung von Streubomben an die Ukraine wäre ein schwerer Fehler. Sie würde die moralische Rechtfertigung für die Unterstützung des angegriffenen Landes untergraben. Der Westen begründet seine Militärhilfe zu Recht mit dem Kampf der Ukraine für Freiheit und Demokratie gegen Unterdrückung und Diktatur.

Putin opfert Menschenleben ohne Rücksicht auf Verluste. Er setzt Streubomben ein, weil er in seinem imperialistischen Wahn verfangen ist und sich keinen Deut um die Zivilbevölkerung schert. Auf dieses moralische Niveau darf der Westen nicht sinken. Auch, um die immer noch hohe Rückendeckung durch die eigenen Gesellschaften nicht zu gefährden. Diese bleibt notwendig, da der Konflikt noch lange anhalten wird, auch wenn der „heiße Krieg“ irgendwann einmal vorbei ist.´

Die westlichen Werte stünden zur Disposition, würde Putin gewinnen

Das Narrativ des Westens ist klar: Der Krieg am Rand Europas weist weit über die Ukraine hinaus. Ein Schlüssel-Argument lautet, dass Aggressoren wie Putin nicht belohnt werden dürfen. Wäre Landraub auf einmal legitim, wäre die Welt ein großer Dschungel. Es ginge nur noch um das Recht des Stärkeren. Der Westen ist zu Recht stolz auf die Werte der Aufklärung wie Vernunft, Recht, Gerechtigkeit und Volksherrschaft. All dies stünde zur Disposition, würde Putin gewinnen und die Ukraine verlieren.

Die Lieferung von Streumunition an die Ukraine wäre aber der falsche Weg. Geeigneter wären Flugabwehrsysteme Langstreckenraketen und am Ende auch Kampfjets. In militärischer, aber auch in moralischer Hinsicht.

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