Brüssel. Die Staudamm-Katastrophe zeigt: Nach dem Krieg kommt die nächste große Herausforderung – die EU muss ihre Bürger darauf vorbereiten.

Noch ist nicht völlig klar, wie der Kachowka-Staudamm zerstört wurde. Doch fest steht schon, dass mit diesem Kriegsverbrechen eine neue Dimension ziviler Verwüstungen im Ukraine-Krieg erreicht ist – zum Leid vieler Tausend Menschen, die jetzt vor den Fluten evakuiert werden müssen, kommen großflächig schwere Schäden an Häusern, Infrastruktur, Landwirtschaft und Umwelt.

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So wirft die Katastrophe ein Schlaglicht auf ein Problem, das im Westen zum Teil noch unterschätzt wird: Die Ukraine mit Waffen- und Finanzhilfe bei der Verteidigung gegen die russischen Invasoren zu unterstützen, ist eines. Aber wenn dieser Krieg beendet sein wird, beginnt erst die viel langfristigere Herkulesaufgabe des Wiederaufbaus. Auch die wird die Ukraine niemals allein bewältigen können.

Schon jetzt werden die Kriegsschäden von der Weltbank vorsichtig auf fast 500 Milliarden Euro veranschlagt, andere Rechnungen gehen sogar schon von 1000 Milliarden Euro aus. Und niemand weiß, wie lange der russische Präsident Wladimir Putin sein Zerstörungswerk noch fortsetzen kann oder will. Es wäre nur recht und billig, Russland nach dem Ende des Konflikts für die Schäden in der Ukraine zur Kasse zu bitten. Aber ob das gelingt?

Russland wird sich kaum auf Wiedergutmachung einlassen

Putin oder sein Nachfolger wird kaum eine solche militärische Niederlage erleiden, dass er sich in einem Friedensabkommen auf Reparationszahlungen einlassen müsste. Moralisch gut begründet wäre zwar, wenigstens das in westlichen Staaten beschlagnahmte russische Staatsvermögen von etwa 300 Milliarden Euro oder die eingefrorenen Oligarchenschätze einzubehalten und zur Wiedergutmachung an die Ukraine auszuzahlen. Aber die Zweifel, dass dies mit internationalem Recht vereinbar wäre, wiegen schwer, sodass in Europa bislang kaum Bereitschaft zu einem solchen Vorgehen besteht.

Christian Kerl ist Brüssel-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion.
Christian Kerl ist Brüssel-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion.

Es hilft also nichts: Auch wenn Russland die Verantwortung trägt – die internationale Gemeinschaft wird sich an den Kosten des Wiederaufbaus beteiligen müssen. Der Europäischen Union fällt dabei unweigerlich die Führungsrolle zu: Sie hat nicht nur als direkter Nachbar ein besonderes Interesse an einer prosperierenden und stabilen Ukraine, sie hat sich auch quasi schon verpflichtet, das Land früher oder später als Mitglied aufzunehmen, was dann unmittelbar Ansprüche auf Finanztransfers auslösen wird.

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Ukraine: Der Wiederaufbau muss schon jetzt vorbereitet werden

Die Versuchung für Brüssel ist groß, den ukrainischen EU-Beitrittsprozess zu beschleunigen, um auf diese Weise die Kontrolle über den Einsatz der Milliardenhilfen in einem bisher noch korruptionsanfälligen Umfeld zu behalten. Und um europäische Investitionen so zu steuern, dass sie von Anfang an mit den Zielen der Unionspolitik etwa beim Klimaschutz übereinstimmen. Doch lässt sich die Aufnahme in den Club der EU-Staaten nicht beliebig beschleunigen, die Hürden sind hoch.

Das vereinte Europa wäre gut beraten, wenn es sich jetzt schon deutlicher und präziser zu diesem Jahrhundertprojekt des Wiederaufbaus bekennen würde – nach innen wie nach außen. Die EU-Bürger müssen wissen, was da in den nächsten Jahren an Lasten auf sie zukommt. Die Ukrainer brauchen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihren Durchhaltewillen im Kampf gegen Russland.

Und Putin soll verstehen, dass er mit seinem verbrecherischen Kriegskurs scheitern wird: Am Ende steht eine europäische, moderne, demokratische Ukraine, die hoffentlich wohlhabender sein wird als je zuvor. Der Wiederaufbau wird ein Werk für Generationen, aber vorbereitet werden muss er jetzt.

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