Berlin. Menschen über 60 engagieren sich gesellschaftlich und in der Familie, doch oft werden sie nicht ernstgenommen. Das ist ein Fehler.

Schon die Bezeichnungen klingen oft ein wenig paternalistisch: Von Best Agern spricht man im Marketing, wenn es um die Konsum-Zielgruppe jenseits der 50 geht, von Silver Surfern bei älteren Menschen, die online sind. Als müsste man die Tatsache, dass es um ältere und alte Menschen geht, irgendwie verschleiern, als wäre das schon ein Makel. Lesen Sie dazu: Studie zeigt: So engagiert sind ältere Menschen wirklich

Die Schwelle dafür, ab wann man alt ist, setzen laut einer Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem vergangenen Jahr die Menschen in Deutschland im Schnitt bei 61 Jahren an. Wer darüber liegt, hat eine kuriose Doppelrolle in der deutschen Öffentlichkeit. Einerseits sind alte Menschen politisch einflussreich: Schon zahlenmäßig sind sie jüngeren Menschen überlegen, auch ihre Wahlbeteiligung ist hoch. Parteien werben deshalb um sie, gern etwa mit Versprechungen an Rentnerinnen und Rentner.

Darüber hinaus aber finden sie im Diskurs oft nur statt als Empfänger von Wohltätigkeiten, als Gruppe, die es zu versorgen und pflegen gilt – selten aber als eine, die gehört und ernstgenommen wird. Ein Schicksal im Übrigen, das sie mit Kindern und Jugendlichen teilen.

Das dominierende Bild: Alte Menschen würden Fortschritt blockieren

Laut der Studie der Antidiskriminierungsstelle nimmt eine knappe Mehrheit in Deutschland ältere Menschen als eher Blockierer gesellschaftlichen Fortschritts wahr. Das dominierende Bild ist demnach eines von denen über 60 als gesundheitlich stark eingeschränkt, einsam und unfähig, sich auf Veränderungen einzustellen. Im Alltag bedeutet das häufig, dass diese Gruppe sich nicht ernstgenommen fühlt, immer wieder aufgrund ihres Alters auch benachteiligt wird – so häufig, dass die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman fordert, Lebensalter aufzunehmen in Artikel 3 des Grundgesetzes, der jetzt schon Diskriminierung unter anderem wegen Geschlecht oder Hautfarbe verbietet.

Alt werden wollen alle, als alt wahrgenommen werden will kaum jemand.

Dabei ist die Realität von Millionen Menschen über 60 im Land vielfältig – und Gesellschaftsdiagnosen, die ganze Generationen als fugenlose Blöcke einheitlicher Interessen und Lebenslagen betrachten, sind häufig wenig brauchbar.

Vereine, Initiativen, Familie: An vielen Stellen sind alte Menschen nicht wegzudenken

Theresa Martus, Korrespondentin Bundespolitik
Theresa Martus, Korrespondentin Bundespolitik © Reto Klar | Reto Klar

Wer seinen 60. Geburtstag feiert, lässt nicht automatisch am nächsten Tag alles stehen und liegen und zieht sich auf das Altenteil zurück. Im Gegenteil: Mit steigender Lebenserwartung und gesundheitlicher Fitness bleiben ältere und alte Menschen länger aktiv. Sie sind überdurchschnittlich oft ehrenamtlich engagiert, wie Zahlen zeigen, tragen etwa viele Vereine und Initiativen. Auch familiär fangen sie oft auf, was institutionell durch die Netze fällt. Ist die Kita mal wieder geschlossen, oder endet die Nachmittagsbetreuung in der Schule deutlich vor dem Arbeitstag der Eltern? Gut, wenn Oma oder Opa da einspringen können und wollen.

Je mehr sich in den kommenden Jahren die Alterspyramide in Deutschland verändert und der Bauch der geburtenstarken Jahrgänge sich nach oben schiebt, um so mehr wird die Gesellschaft darauf angewiesen sein, dass das auch so bleibt. Auf die Potenziale von älteren Menschen zu verzichten, ihren Willen, sich einzubringen, zu ignorieren, wäre fahrlässig.

„Die Alten“ als homogene Gruppe gibt es nicht, ebenso wenig wie „die Jungen“, und weder den einen noch den anderen ist geholfen, wenn man sie gegeneinander in Stellung bringt. Sinnvoll wäre dagegen ein unverstellter Blick – und gegenseitige Wertschätzung.

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