Berlin. Antisemitische Stereotype und Hetze haben Konjunktur. Die Schule muss Teil der Lösung sein – ist bisher aber auch Teil des Problems.

Sie war so unermüdlich, so beeindruckend kämpferisch. Esther Bejarano überlebte Auschwitz, Tatort und Symbol des rassistischen Wahns der Deutschen in der NS-Zeit. Fast bis sie 100 Jahre war, erzählte sie von damals, davon, wie sie als Mädchen im Orchester im Konzentrationslager Akkordeon spielen musste. Wie sie an den Gleisen musizieren mussten, als die Deutschen in Zügen neue Menschen herantransportierten, um sie in Gaskammern zu töten. Das Musizieren war schlimm. Aber, so sagte es Bejarano selbst, die Musik habe ihr auch das Leben gerettet.

Mit ihrer Geschichte war Bejarano vor allem bei sehr jungen Menschen, in Klassenzimmern, in Schulaulen. Ihre Zeitzeugen-Berichte waren gelebter Antifaschismus. 2021 starb sie in Hamburg. Ihr Tod reißt eine Lücke im Kampf gegen Judenhass. Genauso wie das Sterben anderer, letzter Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Holocaust.

Sie kämpfte unermüdlich gegen Antisemitismus und Rassismus – vor allem an Schulen: die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano. Sie starb 2021 in Hamburg im Alter von 96 Jahren.
Sie kämpfte unermüdlich gegen Antisemitismus und Rassismus – vor allem an Schulen: die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano. Sie starb 2021 in Hamburg im Alter von 96 Jahren. © dpa | Christian Charisius

In Statistiken der Polizei nimmt die Gewalt gegen Juden zu, und in Berichten der jüdischen Gemeinde wachsen Sorgen. Judenhass im Klassenzimmer ist keine Ausnahme. „Du Jude!“ ist eine Beleidigung auf dem Schulhof, jüdische Schüler werden attackiert. Der Antisemitismus-Beauftragte sieht auch Judenhass, den Lehrkräfte schüren: antisemitische Witze – ausgerechnet von denen, die Vorbild sein sollen.

Dem entgegenzutreten ist zum einen Verantwortung der Schulleitungen. Doch auch hier zeigen einzelne bekanntgewordene Fälle, dass Führungskräfte an Bildungseinrichtungen zu lange wegschauen, nicht handeln. Kampf gegen Antisemitismus braucht mehr Wucht – auch auf der Agenda der Bildungsministerien. Schulleitungen, die Antisemitismus dulden, gehören in den Ruhestand. Lehrkräfte, die nicht entschieden Judenhass bekämpfen, gehören nicht ins Klassenzimmer. So weit, so klar.

Lehrkräfte müssen Antisemitismus erkennen und handeln

Komplizierter wird es, wenn wir uns die große Mehrheit der engagierten Lehrkräfte anschauen, die Antisemitismus verurteilen und in ihrem Umfeld sanktionieren wollen – aber nicht immer richtig handeln. Die wenigen Forschungen zu dem Thema zeigen: Lehrerinnen und Lehrer sind über die Zeit des Holocaust gut informiert, haben in der Regel ein fundiertes historisches Wissen.

Christian Unger ist Korrespondent der FUNKE Zentralredaktion.
Christian Unger ist Korrespondent der FUNKE Zentralredaktion. © Reto Klar | Reto Klar

Doch im Schulalltag kommt Antisemitismus nicht immer plump und laut daher. Judenhass funktioniert oft subtil, auch an der Schule. Etwa, wenn Juden klischeehaft und einzig als „Opfer“ der Geschichte dargestellt werden. Oder wenn Antisemitismus als Israel-Kritik getarnt wird, und etwa das Schicksal der Palästinenser mit den Juden während der Nazi-Zeit verglichen wird. Wenn in manchen Schulbüchern Juden noch immer düster oder mystisch dargestellt werden. Lesen Sie auch: Xavier Naidoo und Antisemitismus – Analyse zum Skandal-Video

Jüdische Kultur hat Zukunft in Deutschland – das muss auch Teil des Unterrichts sein

Antisemitismus ist nicht gleich Rassismus, Judentum ist mehr als Shoah und Israel, und Unterricht über den Holocaust allein verhindert nicht Judenhass – dieses Wissen muss schon in der Ausbildung von Schulpersonal stärker auf die Agenda. Schulleitungen brauchen zudem verbindliche Meldesysteme von judenfeindlichen Vorfällen in Klassenzimmern, damit Polizei und Politik zum Handeln gezwungen sind. Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen besondere Hilfe und Schutz.

Zentral bleibt der Austausch der Schulen mit zivilen Organisationen, die Erfahrung mit politischer Bildung von jungen Menschen haben. Dazu zählen auch Besuche von KZ-Gedenkstätten – aber eben auch von Synagogen. Judentum in Deutschland lässt sich nicht nur mit Geschichtsbüchern erklären. Junge Menschen müssen jüdische Kultur erleben. Sie hat Vergangenheit in Deutschland. Aber auch Gegenwart und Zukunft.

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