Ankara. Kilicdaroglu will die beschädigten Beziehungen der Türkei zum Westen kitten. Doch Europa blickt mit Sorge auf eines seiner Versprechen.

Recep Tayyip Erdogan hat die Beziehungen seines Landes zum Westen mehr als einmal strapaziert. 2021 sagte der türkische Staatschef, er „verfluche den österreichischen Staat“, weil Wien aus Solidarität mit Israel dessen Flagge aufziehen ließ. Altkanzlerin Angela Merkel warf er einst „Nazi-Methoden“ vor, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfahl er öffentlich, seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Die USA brachte Erdogan mit dem Kauf russischer Flugabwehrraketen gegen sich auf.

Zugleich blockiert die Türkei seit fast einem Jahr den Nato-Beitritt Schwedens – und setzt sie als einziges Land der Allianz die Sanktionen des Westens gegen Russland nicht um. Erdogan und Kremlchef Wladimir Putin sind ziemlich beste Freunde. Was würde ein Machtwechsel in Ankara nach der Parlaments- und Präsidentenwahl für das Verhältnis der Türkei zur EU und Nato bedeuten?

Auch interessant: Recep Tayyip Erdogan: Angezählt, aber noch nicht k.o.

Vor allem die politischen Umgangsformen könnten sich vom ersten Tag an ändern. Hasstiraden und persönliche Verunglimpfungen, wie es sie bei Erdogan gab, sind von dem besonnenen und verbindlich auftretenden Kilicdaroglu nicht zu befürchten. Aber nicht nur im Ton, auch in der Sache dürfte Kilicdaroglu neue Akzente setzen. Er hat bereits angekündigt, dass er Schweden sofort den Beitritt zur Nato ermöglichen werde.

WahlTürkei-Wahl 2023
(Stichwahl)
DatumSonntag (28. Mai 2023)
OrtTürkei
Gewählt wirdPräsident
Wahlberechtigt sindRund 64 Millionen Menschen
Kandidaten für PräsidentenamtRecep Tayyip Erdoğan (69) und Kemal Kılıçdaroğlu (74)

Mit der Abschiebung syrischer Flüchtlinge macht Kilicdaroglu Werbung

Die Westbindung der Türkei gehört zur politischen DNA der Kilicdaroglu-Partei CHP. Sie will neue Bewegung in die seit Jahren eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen bringen. Bei nüchterner Betrachtung ist die Türkei zwar von einer Aufnahme noch viele Jahre entfernt, sofern man ihn überhaupt für realistisch hält. Aber von einer Vertiefung der Zollunion würden beide Seiten profitieren.

Erdogan-Rivale Kemal Kilicdaroglu hat gute Chancen auf einen Sieg bei der Wahl am kommenden Sonntag.
Erdogan-Rivale Kemal Kilicdaroglu hat gute Chancen auf einen Sieg bei der Wahl am kommenden Sonntag. © AFP | YASIN AKGUL

Ein Wahlversprechen, mit dem Kilicdaroglu seit Wochen um Stimmen wirbt, sieht man allerdings in Europa mit großer Sorge: Der Erdogan-Herausforderer will die rund 3,5 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben und dort unter der einheimischen Bevölkerung zunehmend unbeliebt sind, binnen zwei Jahren in ihre Heimat zurückschicken.

Lesen Sie auch:Türkei-Wahl: Neue Erdogan-Verbündete planen Unheimliches

Dass sie alle freiwillig gehen werden, ist nicht zu erwarten. Viele könnten versuchen, der drohenden Abschiebung dadurch zu entgehen, dass sie die Türkei in Richtung EU verlassen. Das Ergebnis wäre womöglich eine neue Flüchtlingskrise an den Grenzen zu Griechenland und Bulgarien.