Nürnberg. Die CSU kürt beim Parteitag in Nürnberg Markus Söder erneut zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Im Oktober muss er liefern.

Den Defiliermarsch haben sie diesmal zur Sicherheit gar nicht bestellt zum Einzug des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, nachdem die Kapelle beim Auftakttermin zur Landtagswahl am Aschermittwoch in Passau mit dem falschen Lied den CSU-Chef verärgert hatte. Stattdessen bemerkt erst keiner, als Söder im Nürnberger Messezentrum in die Halle kommt. Der Applaus? Zurückhaltend, es wird aber mehr im Verlauf der Rede. Und das braucht Söder auch, schließlich will er sich an diesem Samstag als Spitzenkandidat empfehlen. Seine offizielle Wahl ist freilich fast nur Schau: Die Abstimmung wird per Handzeichen abgehalten, so fallen Abweichler unangenehm auf.

Zudem arbeitet Söder seit Wochen für den Erfolg. Er tourt unermüdlich durch den Freistaat, als wollte er beweisen: „Schaut her, bin der Landesvater, für alle da.“ Auf Feuerwehrfesten, bei der Grundsteinlegung einer Kinderklinik und bei seiner Tour durch zig bayerische Kinos gibt er den Volksnahen – hier kommt der Chef noch persönlich vorbei. Früher wäre zu solchen Terminen ein Staatssekretär geschickt worden, aber Söder macht klar: „Wenn man jemanden kennt, vertraut man ihm eher.“ In die CSU hinein gibt er den disziplinierten Lenker und Wahlkämpfer, will die müden Parteisoldaten aufrütteln, weil noch einiges getan werden muss, damit am Abend des 8. Oktobers mehr als nur 40 Prozent hinter dem schwarzen Balken der Hochrechnung stehen. Dafür muss die CSU ihre Anhänger an die Urnen bringen. Oder, wie es bei Söder am Samstagvormittag heißt: „Noch 3728 Stunden bis die Wahllokale schließen, wir laufen jetzt einen Marathon mit Volldampf!“

Einen Wahlerfolg kann Söder noch nicht vorweisen

Von außen betrachtet scheint Söder unangefochten. Dabei hat er eigentlich noch nie eine Wahl klar gewonnen: Der Franke ist verantwortlich für das historisch schlechteste Landtagsergebnis der CSU. Beim letzten Mal 2018 ging es minus 10,5 Prozentpunkte in den Keller auf 37,2 Prozent. Auch die Niederlage der Union bei der Bundestagswahl hat die CSU mitzuverantworten (minus 7,1 Prozent). Es hat der Union die Regierung gekostet.

Hinzu kommt eine unbefriedigende Bilanz bei Söders vollmundig versprochenen hundert Punkten, die seine Regierungskoalition bis zur nächsten Wahl erledigen wollte. Von diesen Wahlversprechen hat er manche gehalten: In Bayern erhalten Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen ein Landespflegegeld in Höhe von 1000 Euro jährlich; auch das bayerische Familiengeld in Höhe von 12.000 Euro pro Kind ist eingeführt.

Lesen Sie auch: Jagt Hendrik Wüst CDU-Chef Merz die Kanzlerkandidatur ab?

Manch anderes Ziel hat Söder jedoch haushoch verfehlt – Stichwort: Wohnungsbau. Bis zum Jahr 2025 wollte der bayerische Ministerpräsident insgesamt 10.000 Wohnungen neu bauen, zuletzt hatte er davon gerade sieben Prozent erfüllt. Viele neue Einrichtungen und damit neue Stellen hatte er 2018 versprochen. Mit einer davon – dem Zukunftsmuseum in Söders Heimat Nürnberg – beschäftigt sich aktuell ein Untersuchungsausschuss. Sein Prestigeobjekt kostet den Freistaat monatlich 232.000 Euro Miet- und Betriebskosten. Das Museum war schon in der Planungsphase zwischen den beteiligten Ministerien sehr umstritten. Auch freies Internet im Nahverkehr sucht man meistens noch vergebens. Über die zweite Münchner Stammstrecke wird in der bayerischen Staatskanzlei lieber gleich der Mantel des Schweigens gehüllt.

Martin Hagen, der Spitzenkandidat der FDP bei der bayerischen Landtagswahl.
Martin Hagen, der Spitzenkandidat der FDP bei der bayerischen Landtagswahl. © IMAGO/Achille Abboud

Mit dieser Abrechnung bietet der CSU-Chef eine leichte Angriffsfläche für die Opposition. Der bayerische FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Hagen urteilt nüchtern: „Den Nachweis, dass Markus Söder zu den Großen der CSU-Geschichte gehört – in eine Reihe mit Goppel, Strauß oder Stoiber – den ist er bisher schuldig geblieben. Söder ist Weltmeister im Ankündigen, aber beim Umsetzen höchstens Kreisklasse.“ Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze fasst fünf Jahre Söder-Regierung im Gespräch mit unserer Redaktion so zusammen: „Was er kann: Schlagzeilen produzieren, Versprechen brechen, sich selbst in den Mittelpunkt stellen. Was er nicht kann: Für saubere und günstige Energie sorgen, Kinder und Jugendliche in den Fokus rücken, konsequent das Klima schützen. Markus Söder ist ein Egoshooter. Er stellt den eigenen Vorteil über das Wohl unseres Landes.“

Ein weiterer Angriffspunkt ist Söders Ruf, wie ein Fähnchen im Wind zu agieren. Besonders offensichtlich in der Corona-Politik als er erst den scharfen Hund dann den schnellen Lockerer gab. Hier gibt es einmal überraschende Worte vom bayerischen Ministerpräsidenten: „Es tut mir leid, dass nicht jede Verordnung in der Corona-Zeit die allerbeste war, aber wir haben uns nicht weggeduckt sondern notwendige Entscheidungen getroffen.“ Das jüngste Beispiel für seine Unberechenbarkeit: Der Franke forderte für Bayern eine Extra-Wurst, wollte den zuletzt abgeschalteten Atommeiler Isar 2 weiterlaufen lassen. Rechtlich ist so ein Weiterbetrieb in Eigenregie durch das Grundgesetz kategorisch ausgeschlossen, aber für große Aufmerksamkeit hat der Franke allemal gesorgt und er muss darüber hinwegtäuschen, dass in Bayern der notwendige Ausbau von Erneuerbaren Energien und Stromtrassen verschlafen wurde.

Dazu passt:Markus Söders Atom-Vorstoß – das Prinzip hü und hott

Tritt erneut gegen Söder an: Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Schulze.
Tritt erneut gegen Söder an: Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Schulze. © dpa | Sven Hoppe

Im Nürnberger Messezentrum stellt Söder all das erwartungsgemäß anders da und zeichnet ein prächtiges Bild von Bayern: Man habe die niedrigste Kriminalitätsrate – „in Bayern wird es keine Kreuzberger Nächte geben“. Es gebe Zuwachs statt Flucht aus Bayern und 90 Prozent der Menschen würden hier gerne leben. Bayern sei ein Zukunfts- und Sehnsuchtsort, sagt der bayerische Ministerpräsident, „weil die CSU die richtigen Weichen gestellt hat“, so Söder.

Statt wie die Berliner „arm aber sexy“, sei man in Bayern „wohlhabend und sexy“. Abgesehen von Berlin ist Söders Feindbild klar die Ampel-Koalition, insbesondere die Grünen. Er kündigt an, nach der Bundestagswahl zusammen mit der CDU die Heizungspläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu kippen. Denn: „Das Wohlstandseis schmilzt schneller als das Eis am Nordpol.“ Die bayerischen Wähler wissen also, was sie bekommen: Söder strebt eine Fortführung der Koalition mit den Freien Wählern an. Stand jetzt geben die Umfragen das her, die die Regierungskoalition liegt bei etwas 48 Prozent.

Söders Fokus liegt auf Bayern, das macht er zum Abschluss noch einmal deutlicht: „Einmal Berlin reicht, meine Lebensaufgabe ist Bayern.“ Dafür gibt es nach mehr als eineinhalb Stunden Rede dann auch mehr als drei Minuten stehenden Applaus. Ohne Gegenstimmen küren die CSU-Delegierten Markus Söder zum Spitzenkandidaten.

Lesen Sie auch: Söder soll 42.000 Euro zurückzahlen – weil er im Landtag blaumacht