Berlin. Mitte April begannen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum schwere Kämpfe. Wie eine Deutsche aus dem Land evakuiert werden konnte.

Als Nora Hinrichsen von ihrem Frühstücks-Buffet am Morgen erzählt, kullern ihr dann doch die Tränen die Wange herunter – muss sie doch an die vielen Menschen im Sudan denken, die um ihr Leben bangen. Elf Tage saß die 44-jährige im Kugelhagel von Khartum fest. „Surreal“ fühlt sich das an, wie ein „Traum im Hinterkopf“, sagt sie. „Das sieht man im Film, das erlebt man nicht!“

Die 44-jährige steht am Donnerstag Nachmittag in der sterilen Eingangshalle des Flughafens Berlin-Brandenburg. Auf den Boden sitzen ihre neun- und zwölfjährigen Töchter und schlürfen Softdrinks, bevor sie in ihren Flieger nach Athen einchecken. Durch ihre Outdoor-Klamotten sind sie optisch fast nicht von den anderen Urlaubern zu unterscheiden. Doch der durchdringende Blick von Hinrichsen verrät, was die Familie in den letzten Tagen erlebt hat.

Sudan: Die erst Evakuierung aus Khartum scheitert

Am Montag erhielt diese Redaktion den ersten Hilferuf der Familie um die deutsche Staatsangehörige Nora Hinrichsen. Kurz zuvor war der erste Evakuierungsversuch gescheitert, als ihr Auto auf dem Weg zur französischen Botschaft plötzlich von einem Kugelhagel der sudanesischen Armee gestoppt wurde. „Es war wirklich komplett still“, beschreibt Hinrichsen die Situation, als sie zuvor ihren Wagen durch die leeren Straßen von Khartum steuerte. Trümmer, Glas und Geschossteile säumten den Weg. „Und jede Menge an Patronenhülsen – das war wirklich wie ein Teppich.“

Nora Hinrichsen wohnt seit 2015 in Khartum.
Nora Hinrichsen wohnt seit 2015 in Khartum. © Privat | Privat

Hinrichsen geht davon aus, dass ihre beiden Kinder die Leichen auf den Straßen nicht gesehen haben – versuchte die Mutter in dieser Zeit doch, „eine bestimmte Normalität aufrechtzuerhalten.“ Wohl auch ein Grund, warum Hinrichsen am Berliner Flughafen so gefasst wirkt. „Ich habe eben halt versucht, für mich selber so entspannt wie möglich zu wirken.“ Das Sams hätte sie etwa ihren Kindern vorgelesen, wenn draußen wieder Schüsse und Explosionen zu hören waren.

Sudan: Hinrichsen saß beim Zahnarzt, als die Kämpfe begannen

Hinrichsen und ihr griechischer Mann wohnen mit ihren beiden Töchtern seit 2015 in Khartum und unterrichten dort an einer internationalen Schule. Das Gelände, das der griechisch-orthodoxen Kirche gehört, liegt im Zentrum, unweit des Präsidentenpalastes und der strategisch wichtigen Al Mek Nimir Brücke.

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Als die Kämpfe am 15. April losgingen, saß Hinrichsen gerade beim Zahnarzt. „Wir waren ja diese Demonstration eigentlich schon gewöhnt“, so Hinrichsen. Demonstranten, Polizei und Soldaten: „Die beschießen sich wieder eine Runde und nach einer Stunde ist das wieder vorbei“, dachte sie. Doch spätestens als das Mündungsfeuer eines Pick-Up-Maschinengewehrs vor ihrem Compound aufleuchtete, sei klar gewesen: „Das wird ein bisschen größer. Das wird heftig.“

Die beiden Töchter von Nora Hinrichsen vor dem verrammelten Fenster des Compounds. Auf den Boden sind sie geschützt vor Geschossen.
Die beiden Töchter von Nora Hinrichsen vor dem verrammelten Fenster des Compounds. Auf den Boden sind sie geschützt vor Geschossen. © Privat | Privat

Fünfzehn Minuten später sei dann ein Schrapnell auf dem Gelände eingeschlagen. Es durchschlug einem Mitbewohner das Schienbein und verletzte ihn am Bauch. Nachdem Hinrichsen die Blutung stoppen konnte, kam der Mann in ein Krankenhaus. Obwohl das Krankenhaus nach drei Tagen wegen Angriffen geschlossen hätte, habe es der Mann auf einen der ersten Evakuierungsflüge geschafft.

Sudan steht vor humanitärer Katastrophe

Doch so viel Glück haben andere wohl nicht. Nachdem ausländische Staatsangehörige das Land mittlerweile überwiegend verlassen haben, verwandelt sich Khartum in eine Geisterstadt. Das kann auch Lanna Idriss, Vorstandsmitglied der SOS-Kinderdörfer, gegenüber dieser Redaktion bestätigen. Das Kinderdorf mit 68 Kindern in Khartum sei mittlerweile in mehrere Wohnungen evakuiert worden. Vierzig Personen befänden sich aber immer noch in der Stadt.

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„Schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung hat extreme Versorgungsengpässe“, erklärt Idriss: „Allem voran bei kleinen Kindern.“ Ein Liter Benzin koste derzeit 130 Euro. „Dass der Übergang in die Zivilregierung auf sehr wackeligen Füßen stand, das war sehr offensichtlich“, so Idriss, die selbst viele Jahre im Sudan gelebt hat. Hoffnung gebe es aus ihrer Sicht, wenn sich die Zivilbevölkerung nicht von den militärischen Parteien vereinnahmen lasse.

Die sudanesische Hauptstadt Khartum ist schwer umkämpft.
Die sudanesische Hauptstadt Khartum ist schwer umkämpft. © dpa | Marwan Ali

Flucht aus dem Sudan: Ein religiöser Führer rettet die Familie

Diese beiden Konfliktparteien, die sudanesische Armee unter der Führung von Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärischen Gruppierung „Rapid Response Forces“ (RSF), treffen genau hinter dem Compound der internationalen Schule aufeinander. In einem kleinen Graben hätten sich die RSF-Kämpfer versteckt, weshalb auch die Schule zur Zielscheibe der Geschosse wurde. „Das Dritte ist dann direkt vor der Hauswand am Graben irgendwo eingeschlagen und explodiert. Das hat dann bei uns alle Fenster rausgedrückt, die zur Straße hin waren.“

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Bei der Frage, wie die Familie zum Flughafen kommt, hätte es viel Hin und Her mit den betreffenden Botschaften gegeben – inklusive des Rats, sich einen Mietwagen zu beschaffen. Am Montagabend sollte die Waffenruhe jedoch auslaufen. „Das war dann für mich der Punkt: Wir müssen da jetzt raus“, erzählt Hinrichsen rückblickend. Ein seltsames Gefühl hätte sie beschlichen, sodass die Familie zu Fuß den Weg aus der Stadt wagen wollte.

Die zuletzt verbliebenen Compound-Bewohner um Nora Hinrichsen nach Ihrer Rettung durch Sheikh Elamin Omer
Die zuletzt verbliebenen Compound-Bewohner um Nora Hinrichsen nach Ihrer Rettung durch Sheikh Elamin Omer © Privat | Privat

Letzten Endes war es eine Gruppe um den religiösen Führer Sheikh Elamin Omer, die die verbliebenen Compound-Bewohner durch das heiß umkämpfte Gebiet auf die rettende Flussseite brachte. Vom Flughafen ging es mit der Bundeswehr zunächst nach Jordanien, später mit einem Charterflug nach Berlin. Ganz regulär flog die Familie am Donnerstag nach Athen zu den Schwiegereltern, wo zumindest die Kinder endlich ausschlafen konnten.