Moskau. Der inhaftierte Kremlkritiker ist erkrankt. Statt zum Arzt kam Nawalny in eine Einzelzelle. Sein Team hat einen furchtbaren Verdacht.

Seine Familie, seine Freunde, sein Team, viele Menschen sind in großer Sorge um den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Wadim Kobsew, sein Anwalt, teilt mit, Nawalny habe binnen zwei Wochen acht Kilogramm abgenommen. Wegen akuter Magenbeschwerden sei ein Krankenwagen gerufen worden. Im Straflager würde Nawalny nicht behandelt, die Gefängnisleitung verweigere die Annahme der Medikamente, die seine Mutter für ihn abgegeben hätte.

Kira Jarmysch, Nawalnys Sprecherin, warnt vor einer möglichen Vergiftung des Inhaftierten. „Wir schließen nicht, dass Alexej Nawalny in diesem Moment langsam vergiftet wird, langsam getötet wird, damit es weniger Aufmerksamkeit erregt“, schreibt sie.

Russland: Bundesregierung sorgt sich um Nawalnys Gesundheit

Auch die Bundesregierung sorgt sich um Nawalnys Gesundheit. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt, fordert umfassende klinisch-toxikologische und radiologische Untersuchungen und Zugang zu unabhängiger medizinischer Versorgung für den Kreml-Kritiker.

Alexej Nawalny Mehr zum Kreml-Kritiker

Alexej Nawalny sitzt seit mehr als zwei Jahren in Haft, derzeit im Straflager Melechowo im Gebiet Wladimir, etwa 260 Kilometer nordöstlich von Moskau. Im Sommer 2020 war er auf einer Reise nach Sibirien mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Nawalny selbst sieht die Täter in den Reihen des russischen Geheimdienstes FSB. Der Kreml weist die Vorwürfe zurück. Nawalny wurde damals im Koma liegend nach Deutschland ausgeflogen, wo man ihn in der Berliner Charité behandelte.

Nach seiner Genesung kehrte Nawalny im Januar 2021 nach Russland zurück und wurde direkt bei seiner Ankunft auf dem Flughafen festgenommen. Im vergangenen Jahr verurteilte man ihn wegen Betrugs zu neun Jahren Gefängnis. Nawalny wird mit immer neuen Strafverfahren überzogen. Zuletzt wurde er in die „Liste der Terroristen und Extremisten“ aufgenommen. Die Klage dagegen verlor Nawalny. Er ist jetzt im Straflager unter besonders strengen Haftbedingungen. Das bedeutet: Weniger Besuche, weniger Briefe und Pakete, Verkürzung der täglichen Spaziergänge im Freien.

Verlegung in die Einzelzelle

Trotz seiner gesundheitlichen Probleme wurde er jetzt erneut in eine Einzelzelle verlegt. Vergangenen Freitag sei er erst aus der Isolationshaft entlassen worden und am Montag zu weiteren 15 Tagen dort eingewiesen worden, teilt Nawalnys Team auf Telegram mit. Die von Nawalny gegründete Anti-Korruptions-Stiftung hatte zuvor einen Beitrag über den überteuerten Ankauf von Lebensmitteln in russischen Gefängnissen veröffentlicht. Auf Instagram schreibt Nawalny: „Der Großhandelspreis für Kohl im Sommer betrug 6 Rubel pro Kilogramm. Gleichzeitig kauft der Bundesgefängnisdienst für 27 Rubel 50 Kopeken in unvorstellbaren Mengen.“

Seit dem vergangenen Sommer sei Nawalny bereits das 13. Mal in Einzelhaft, so sein Team. Maximal 15 Tage darf ein Gefangener dort eingewiesen werden. Die Zellen dort sind eng, man darf nicht mehr telefonieren. Das Mitbringen von Lebensmitteln und persönlichen Gegenständen ist ebenfalls verboten.

Nawalny darf auch für seine Arbeit als Näher den Strafblock nicht verlassen

Diesmal seien die Haftbedingungen nochmals verschärft worden. Nawalnys täglicher Ausgang im engen Gefängnishof sei auf 7.00 Uhr morgens verlegt worden. Im gleichen Zellentrakt sei eine Nähmaschine aufgebaut worden, damit er den Strafblock nicht einmal zur Arbeit als Näher verlassen könne.

Der in Russland inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny ist krank und wurde erneut in eine Einzelzelle verlegt. Das Foto von ihm stammt aus dem vergangenem Jahr.
Der in Russland inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny ist krank und wurde erneut in eine Einzelzelle verlegt. Das Foto von ihm stammt aus dem vergangenem Jahr. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexander Zemlianichenko

Nawalnys großes Thema ist die Korruption im Land. Er legte sich mit Oligarchen an, den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Und mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Wenige Tage nach der Festnahme Anfang 2021 veröffentlicht sein Team im Netz den Film „Ein Palast für Putin“. 112 Minuten, gespickt mit Fakten. Doch ob das Märchenschloss am Schwarzen Meer wirklich „Putins Palast“ ist, das kann der Film nicht beweisen. Der Kreml bestreitet dies.

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2013 wollte er Bürgermeister von Moskau werden

Politisch war Nawalnys Karriere wechselhaft. Er hat einen Studienabschluss in Jura, ein Studium der Finanzwirtschaft, war Unternehmer. Einige Jahre lang arbeitete er in der Oppositions-Partei Jabloko, wegen nationalistischer Äußerungen musste er die Partei verlassen. Berühmt wurde ein Video, von dem er sich heute distanziert. Er setzte kaukasische Terroristen mit „Kakerlaken“ gleich.

2011 gründete er den FBK, seine Anti-Korruptions-Stiftung. Und 2013 kam er bei der Moskauer Bürgermeisterwahl auf respektable 27 Prozent der Stimmen. Nawalny sei seinem großen Feindbild Wladimir Putin gar nicht so unähnlich, schreibt der Bremer Politikwissenschaftler Jan Matti Dollbaum. „Nawalny setzt dem allumfassenden Putin dasselbe allumfassende Bild entgegen. Der Unterschied: Unter Nawalny, so seine wichtigste Botschaft, arbeitet die Staatsmacht ehrlich, transparent und effizient.“

Neues Verfahren wegen Bildung einer extremistischen Vereinigung

Jüngster Vorwurf an Nawalnys und sein Team: Man habe aus dem Ausland den Bombenanschlag in Sankt Petersburg auf den Militärblogger Maxim Fomin mitorganisiert. Eine entsprechende Pressemitteilung des Geheimdienstes FSB zitiert die Nachrichtenagentur Ria Novosti. Beschuldigt würden Nawalnys Mitarbeiter Iwan Schdanow und Leonid Wolkow. Beide weisen die Anschuldigung kategorisch zurück. Sie behaupten, der FSB habe den Anschlag selbst inszeniert, um den kritischen Blogger loszuwerden.

Derzeit bereiten die Behörden ein neues Verfahren gegen den Inhaftierten wegen mutmaßlicher Bildung einer extremistischen Vereinigung vor. Damit drohen Nawalny weitere 15 Jahre Haft.