New York/Washington. Es ist ein historischer Tag in New York: Ex-Präsident Donald Trump muss sich in einem Strafverfahren verantworten. So verlief der Tag.

„Wow, sie werden mich festnehmen. Ich kann nicht glauben, dass das in Amerika passiert”, schrieb er kurz vorher auf seinem Internet-Portal „Truth Social”. Um 13.23 Uhr Ortszeit New York begann für Donald Trump am Dienstag dann die neue Zeitrechnung.

In diesem Augenblick betrat der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika mit ernster Miene nach kurzem Winken in Richtung TV-Kameras durch einen Hintereingang das schwer gesicherte Gerichtsgebäude im Süden Manhattans. Um sich den Strafverfolgungsbehörden zu stellen, die ihn gut eine Stunde später in 34 Fällen schwerer Verbrechen anklagen sollten. Aktenzeichen: Nr. 71543-23. Ein Novum in über 230 Jahren US-Geschichte.

Donald Trump: Anklageschrift verlesen – Ex-Präsident plädiert auf „nicht schuldig”

Es geht an der Oberfläche um sechsstellige Schweigegeldsummen, die Trump 2016 nach einer länger zurückliegenden Affäre an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels und das Playboy-Model Karen McDougal gezahlt haben soll.

Dabei wurden laut Anklageschrift, die Richter Juan Merchan verlas, geschäftliche Unterlagen im Trump-Konzern gefälscht und Gesetze zur Wahlkampffinanzierung missachtet. Jeder einzelne Fehltritt könnte in einem Prozess, der frühestens in einem Jahr stattfinden würde, mit einer Haftstrafe von vier Jahren belegt werden.

Nach erstem Lesen der wider Erwarten nicht mit vielen Einzelheiten gespickten Anklage wird Trump im Grundsatz vorgeworfen, dass er die Präsidentschaftswahl 2016 beeinflussen wollte, in dem er potenziell schädigende Informationen (gemeint sind die außerehelichen Affären mit Daniels und McDougal) vor der Wählerschaft geheim hielt.

Donald Trump vor Gericht: Dem Ex-Präsidenten werden die Anklagepunkte verlesen.
Donald Trump vor Gericht: Dem Ex-Präsidenten werden die Anklagepunkte verlesen.

Anklage gegen Ex-Präsidenten: Trump plädiert auf „nicht schuldig”

Trump, der dabei ein „Schema orchestrierte", habe „negative Informationen über sich gekauft, ihre Publizierung unterdrückt” und dadurch seine Wahlchancen vergrößern wollen. Dazu seien Geschäftsbücher des Trump-Konzerns gefälscht worden. Chef-Ermittler Alvin Bragg erklärte: „Wir können nicht zulassen, dass New Yorker Unternehmen ihre Aufzeichnungen manipulieren, um kriminelles Verhalten zu vertuschen.”

Trumps Anwälte um den Juristen Joe Tacopina sprachen von einem „traurigen Tag” für dieses Land. Die Anklage sei „absolut enttäuschend”, weil sie sieben Jahre nach den vorgehaltenen Ereignissen „wenige Fakten” enthalte. Die Juristen wollen beantragen, die Klage zu verwerfen. Trump plädierte nach dem formalen Schritt der Anklageerhebung, der mit rund 45 Minuten entschieden länger als gewöhnlich dauerte, auf „nicht schuldig”.

Justiz lässt Sonderbehandlung von Trump zu

Anders als vorher spekuliert wurde, ließ die Justiz Trump – bis auf die formale Festnahme, die Abnahme von Fingerabdrücken und die Zuweisung eines Aktenzeichens – Sonder-Behandlung angedeihen. Er musste die kurze Wartezeit bis zur Anklageverlesung laut US-Medien nicht in einer Zelle verbringen. Auch die üblichen Handschellen und das Standard-Kartei-Foto für eine etwaige Fahndung blieben ihm laut Augenzeugen erspart.

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Letzteres folgt der Einschätzung, dass Trumps Gesicht, das bei Betreten des Gerichtssaals versteinert bis grimmig wirkte, weltweiten Bekanntheitsgrad besitzt. Außerdem wollte man verhindern, dass mit dem („mug shot"), der mangels Technik in einem anderen Gebäude hätte aufgenommen werden müssen, weitere Wahlkampfspenden eingetrieben werden, hieß es inoffiziell in Justizkreisen. Vor dem Termin hatte Richter Juan Merchan den medialen Flaschenhals zwischen Verhandlungssaal und Außenwelt verengt.

Weder waren Fernsehkameras bei der Anklage-Verlesung zugelassen. Noch durften Journalisten mit Smartphone und Laptop in Echtzeit die Einzelheiten der bis zuletzt versiegelt gebliebenen Anklage veröffentlichen. Nur fünf Fotografen bekamen am Anfang die Chance, den prominenten Beschuldigten für die Nachwelt festzuhalten.

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Des Weiteren war auf einem Flur im Gericht eine Kamera installiert. Trump wollte sie eventuell nutzen, um ein erstes Statement abzugeben, bevor er am späteren Abend nach dem Rückflug nach Florida in seinem Privat-Domizil Mar-a-Lago vor 500 ausgewählten Gäste ans Mikrofon schreiten sollte, hieß es aus Kreisen seiner Wahlkampage.

Auf Anweisung von Richter Merchan wurde die 15. Etage des Gebäudes an der Centre Street für die Dauer der Trump-Vorführung gesperrt. Auch das lokale Wifi-Netzwerk wurde auf Wunsch des Secret Service, der Trump Personenschutz gewährt, vorübergehend stillgelegt.

„Sperrt ihn ein!”: Demonstranten liefern sich Wortgefechte

Kurz nach 13 Uhr hatte sich der Konvoi aus über einem Dutzende Autos vom Trump Tower an der 5. Avenue in Bewegung gesetzt. Begleitet von Hubschraubern diverser TV-Sender wie weiland bei der legendären Flucht von Football-Star O.J. Simpson in Kalifornien kam der Ex-Präsident wenige Minuten später im Süden Manhattan an.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump ist vor dem Gerichtsgebäude in New York angekommen.
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump ist vor dem Gerichtsgebäude in New York angekommen. © Andrew Caballero-Reynolds/AFP

Rund um das mit Straßensperrungen und massiver Polizeipräseznz abgeschirmte Gerichtsgebäude aus Kalksandstein, nicht weit entfernt vom Finanzzentrum Wall Street, standen Hunderte Schaulustige und Reporter aus der ganzen Welt 24 Stunden vor Einlass Schlange. Über dem Schauplatz kreisten mehrere Polizei-Hubschrauber.

Im nahe gelegenen „Collect Pond Park” lieferten sich, von Metall-Barrikaden getrennt, Fans und Gegner des Ex-Präsidenten unter Zuhilfenahme von Kuh-Glocken und Trillerpfeifen heftige Wortgefechte. Ausschreitungen blieben laut Polizei aus. Marjorie Taylor-Greene, republikanische Kongress-Abgeordnete aus Georgia und treue Trump-Anhängerin, wurde bei einer kurzen Ansprache von Gegnern des Ex-Präsidenten bedrängt und niedergeschrien.

„Sperrt ihn ein!”, riefen die Demonstranten in Abwandlung des von Trump auf die frühere demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gemünzten Spruchs „Lock her up!”. „Schluss mit der Hexenjagd. Nieder mit den Demokraten”, stand auf einem Plakat der Gegenseite zu lesen, die im überwiegend demokratisch getakteten New York zahlenmäßig in der Minderheit schien.

Ein Demonstrant hält ein Plakat vor dem Trump Tower in New York.
Ein Demonstrant hält ein Plakat vor dem Trump Tower in New York. © Corey Sipkin/ AP/dpa

Das öffentliche Meinungsbild über den Fall und Trumps Stellenwert ist komplex. In der Gunst der republikanischen Wählerschaft ist der Angeklagte gestiegen. 48 Prozent wünschen sich den 76-Jährigen, der in weniger als einer Woche nach Bekanntgabe der Anklage sieben Millionen Dollar an Spenden eingenommen hat, als Präsidentschaftskandidat für 2024. Konkurrent Ron DeSantis ist auf 19 Prozent Zustimmung gefallen. Dagegen finden 60 Prozent der Amerikaner über alle Parteigrenzen hinweg die Anklage gegen Trump angemessen und richtig.

Verfahren gegen Trump soll erst im Dezember fortgesetzt werden

Als nächsten Termin für die Überprüfung des Verfahrens hat Richter Merchan den 4. Dezember festgelegt. Prozess-Beginn kann er sich Anfang 2024 vorstellen. Das wäre parallel zum Beginn der republikanischen Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur 2024. Trumps Lager würde noch vehementer als bisher die politische Dimension hinter den juristischen Bestrebungen geißeln.

Merchan rief Trump mit Blick auf umstrittene Äußerungen wie die, dass eine Anklage gegen ihn „Tod und Zerstörung” in Amerika auslösen werde, unterhalb eines formalen „Maulkorbs” (gag order) dazu auf, in sozialen Medien nichts mehr zu veröffentlichen, was Unruhen auslösen könnte. Der Richter kündigte an, Trump diesbezüglich genau zu beobachten.

Staatsanwalt im Trump-Case: „Jeder ist vor dem Gesetz gleich.”

Unterdessen erklärte Chef-Ermittler Alvin Bragg, dass Trump versucht hat, seine Präsidentschaftskandidatur 2016 „mit unlauteren Mitteln zu promoten”. Dabei gehe es nicht nur um den Fall von 130.000 Dollar Schweigegeld an Stormy Daniels. Trumps „verschwörerisches Schema” habe sich auch auf die Zahlung von 150.000 Dollar an das Playboy-Model Karen McDougal erstreckt. Außerdem sein ein früherer Türsteher im Trump Tower mit 30.000 Dollar bedient worden. Der Mitarbeiter hatte behauptet, dass Trump ein uneheliches Kind gezeugt habe.

Mit diesen Aktivitäten habe Trump nicht nur massiv gegen Wahlgesetze des Bundesstaates New York verstoßen. Diese Zahlungen in den Büchern mit Absicht falsch zu etikettieren und an der Steuerbehörde vorbeizuschleusen, sei am Wirtschaftsstandort New York nicht hinnehmbar. Bragg erklärte, Trump und sein Konzern könnten hier keine Vorzugsbehandlung oder Nachsicht erwarten. „Jeder ist vor dem Gesetz gleich. Auch noch so viel Geld und Macht ändern daran nichts.”