Berlin. Früher Protestpartei, jetzt aber Regierungpartei: Der Politologe Lothar Probst erklärt, vor welchen Problemen die Grünen jetzt stehen.

Die Grünen treffen sich in diesen Tagen zur Parteiklausur in Weimar. Es gibt viele Fragen, die sich die Parteiführung stellen muss. Nach eineinhalb Jahren in der Regierung hat sich einiges getan – wie steht die Partei jetzt innerhalb der Ampelkoalition da? Lothar Probst, emeritierter Professor der Universität Bremen und Politikwissenschaftler, spricht mit uns über den Wandel und die aktuelle Rolle der Grünen. Was sind die Stärken und Schwächen der Partei?

Herr Probst, die Grünen treffen diese Woche zu einer Fraktionsklausur. Welchen Problemen sollte sich die Partei stellen?

Probst: Die Grünen stehen meines Erachtens vor zwei Herausforderungen. Zum einen müssen sie den Bürgerinnen und Bürgern besser vermitteln, wie sie Klimapolitik und Wirtschaftspolitik miteinander vereinbaren wollen. Zum anderen haben sie ein Problem mit ihrer Selbstdarstellung. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass sie ständig vor der FDP in der Koalition einknicken. Ein Beispiel ist die Verkehrspolitik. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass die Grünen die Verlierer der Ampel sind.

Aktuell lauten die Schlagzeilen "Partei in der Krise" oder "der entzauberte Minister Habeck". Wie ordnen Sie das ein?

Probst: Das hat vor allem mit dem Umgang der Energiekrise und den Konflikten in der Klimaschutzbewegung zu tun. Da erscheint es oft so, als ob die Grünen uneins sind. Außerdem kommt es spätestens ein Jahr nach einem Regierungseintritt in der Regel zu einem Realitätsschock, weil sowohl die Wähler aus auch die Mitglieder merken, das man vieles doch nicht so schnell umsetzen kann, wie es versprochen wurde – erst recht nicht in Krisenzeiten, die pragmatische Entscheidungen erfordern. Da müssen die Grünen und ihre Minister oft schmerzhafte Kompromisse eingehen.

Wenn man auf die Umfragen blickt, mit wem die Deutschen in der Regierung zufrieden sind, stehen die Grünen noch gut da – besser als die FDP und SPD. Haben es die Grünen bisher gut hinbekommen, ihre Rolle in der Ampel zu behaupten?

Probst: Es war sehr bemerkenswert, dass die Grünen nach der Bundestagswahl in den Umfragen sogar noch zugelegt hatten. Robert Habeck war vor einiger Zeit – als Kanzler Scholz nicht in der Lage war, die Politik der Regierung zu erklären – derjenige, der diese Funktion übernommen hat. Dass die Umfragewerte wieder etwas zurückgegangen sind, liegt vor allem an der öffentlichen Wahrnehmung der Ministerinnen und Minister. Auch wenn die Grünen lange Zeit der Liebling der Medien waren: In jüngster Zeit hat insbesondere Robert Habeck durch seine konsequente Energiepolitik an medialer Zustimmung eingebüßt.

Der Politikwissenschaftler Lothar Probst.
Der Politikwissenschaftler Lothar Probst. © Prof. Dr. Lothar Probst, Bremen, Germany

Wie abhängig sind die Grünen von der Beliebtheit von Habeck und Baerbock?

Probst: Das öffentliche Bild der Partei ist von der Performance dieser beiden Minister sehr stark abhängig. Sie haben ja schon vor der Wahl das strategische Zentrum der Partei vollkommen verändert. Beide pflegen zwar einerseits ihren eigenen Stil in der Regierung, tragen aber andererseits beide maßgeblich zur öffentlichen Wahrnehmung und zum Außenbild der Grünen bei. In dem Moment, wo ihre Strahlkraft in die Mitte der Gesellschaft nachlässt, kann es auch passieren, dass die Umfragewerte für die Grünen sinken.

Habeck und Baerbock agieren nur noch sehr kühl miteinander. Wie zerstritten ist die Partei Ihrer Meinung nach?

Probst: Die Partei steht nach meinem Eindruck relativ geschlossen dar – niemand wagt eine offene Kritik oder gar einen Aufstand gegen die Regierungsmitglieder. Dennoch ist es kein Geheimnis, dass es Unmut in den eigenen Reihen gibt. Nehmen wir das Beispiel Lützerath: Luisa Neubauer, Klima-Aktivistin und selbst Parteimitglied, hat scharfe Kritik an den Entscheidungen ihrer Partei geäußert. Die Grünen haben aber längst verstanden, dass sie eine andere Aufgabe haben als Bewegungen wie Fridays for Future. Bewegungen können radikale Forderungen stellen, ohne sich dafür vor den Wählerinnen und Wählern zu verantworten. Eine Partei wie die Grünen, die zur Wahl steht, muss jedoch pragmatischer agieren und kann nicht nur eine bestimmte Klientel bedienen.

75 Prozent der Deutschen sind laut einer Civey-Umfrage der Meinung, dass die Grünen den Deutschen zu sehr vorschreiben wollen, wie sie leben sollen.

Probst: Ja – dieses Image von den Grünen als Verbotspartei wird immer wieder gezielt bedient – zum Beispiel durch Kampagnen der "Bild" oder auch aus den Reihen der Opposition. Oft wird nicht zwischen Ordnungspolitik, deren Rahmen der Staat setzt, und einem Verbot differenziert. Wenn Habeck sagt: "Wir müssen jetzt schneller zu Wärmepumpen wechseln, um die Klimaziele zu erreichen", dann wird das von vielen als Verbot empfunden. Natürlich ist das sehr ambitioniert und überfordert manchmal die Menschen. Aber gerade Habeck steht für eine Politik ohne moralischen Zeigefinger. Er hat sich schon früh gegen grüne Besserwisserei ausgesprochen.

Wie links müssen die Grünen bleiben und wie mittig müssen sie sein, um erfolgreich zu sein?

Probst: Als ökologische Partei waren die Grünen im klassischen Sinne nie eine linke Partei. De facto sind sie längst eine Partei der Mitte, auch wenn viele in der Partei das nicht wahrhaben wollen. Dadurch haben sie auch eine Verantwortung für die ganze Gesellschaft. Um erfolgreich zu sein, wäre es wahrscheinlich gut, wenn Teile der Partei weniger polarisierend auftreten und ein offeneres Verständnis für andere Teile der Gesellschaft entwickeln würden. Dann sehe ich durchaus eine Chance, dass die Grünen nicht nur ihre immer noch relativ guten Umfragewerte halten, sondern sogar wachsen.